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EnergiewendeZu viel Solarstrom: Mythos oder echte Herausforderung?

Zu viel Solarstrom: Mythos oder echte Herausforderung?

Der Ausbau der Erneuerbaren Energien, besonders der Photovoltaik, schreitet in Deutschland mit großen Schritten voran. Doch was passiert, wenn an sonnigen Tagen mehr Solarstrom erzeugt wird, als das Netz aufnehmen kann? Manche Medien berichten bereits über Stromnetze am Limit und fragen, ob durch zu viel Solarstrom ein Blackout droht. In diesem Beitrag werfen wir einen Blick auf die Frage und was dahintersteckt. Außerdem erfahrt ihr, welche smarten Lösungen es gibt, um unser Stromnetz fit für die Zukunft zu machen.

Photovoltaik boomt: Jeden Monat kommt 1 Gigawatt Solarenergie dazu

Kritik an der Energiewende ist nicht neu. Vieles davon ist nicht gerechtfertigt, veraltet und längst widerlegt, manche Kritikpunkte müssen jedoch genauer betrachtet und bewertet werden. So auch die Diskussion rund um das Thema Solarstrom-Überschuss.

Die großen Erfolge der letzten Monate beim Ausbau der Erneuerbaren Energien haben dazu geführt, dass wir wieder auf Kurs liegen und dieses Jahr die gesetzlich vorgeschriebenen Ausbauziele erreichen. Insbesondere der Photovoltaik-Boom hat großen Anteil daran. Aktuell werden jeden Monat ca. 1 Gigawatt zugebaut – ein echter Erfolg! Davon fallen 70 Prozent auf kleine bis mittelgroße Dachanlagen, die eine feste Einspeisevergütung erhalten und dementsprechend immer dann Strom einspeisen, wenn er erzeugt wird. Das machen jedoch nicht nur einige wenige Anlagen, sondern alle, die ihren überschüssigen Solarstrom nicht selbst verbrauchen. Das führt insbesondere zur Mittagszeit zu sogenannten Einspeisespitzen, wenn

  • die Sonne am stärksten scheint und Solaranlagen maximale Leistung erzeugen.
  • der Eigenverbrauch gering ist, da Haushalte und Betriebe zu dieser Zeit wenig Strom benötigen.
  • Batteriespeicher bereits vollgeladen sind und keinen weiteren Strom aufnehmen können.

Einige lokale Stromnetze sind nicht für die hohen eingespeisten Strommengen ausgelegt. Aber drohen durch “zu viel” Solarstrom tatsächlich Netzüberlastungen, Netzabschaltungen oder sogar Blackouts?

Faktencheck: Ist zu viel Solarstrom wirklich ein Problem?

Die einfache und schnelle Antwort darauf ist: Nein, “zu viel” Solarstrom ist nicht das Problem, sondern eine veraltete Regulatorik und Stromnetze, die nicht auf die Energiewende ausgerichtet sind.

Die Energiewende und die damit verbundene Transformation der Wirtschaft kann nur gelingen, wenn genug Strom aus erneuerbaren Quellen erzeugt wird. Vor allem der zunehmende Verkehr mit Elektroantrieb und die Umstellung auf elektrische Heizsysteme machen es notwendig, dass große Strommengen verfügbar sind. Unter der Prämisse, dass diese Sektoren mit Strom aus erneuerbaren Quellen betrieben werden, muss der Erneuerbaren-Ausbau daher in den nächsten Jahren sogar noch beschleunigt werden: Bis 2030 sollen mindestens 80 Prozent des Bruttostromverbrauchs aus Erneuerbaren Energien gedeckt werden. Die installierte Solarleistung soll dann 215 Gigawatt erreichen.

Damit dies gelingt, muss die Regulatorik und die Infrastruktur Schritt halten. Denn aktuell gefährden immer häufigere negative Preise an sonnigen Tagen die Wirtschaftlichkeit von PV-Projekten, da Anlagenbetreiber in solchen Zeiten kein Geld für ihren Strom erhalten oder sogar zahlen müssen, um ihn einzuspeisen.

Diese Probleme treten allerdings nur dann auf, wenn die Stromnetze nicht ausgebaut werden, die Digitalisierung der Energiewende weiterhin stockt, die Sektorenkopplung ausgebremst und die dafür notwendige Gesetzgebung verhindert wird.

Wie kommt es zu einer Netzüberlastung?

Kleine bis mittelgroße Solaranlagen sind auf der Ebene der Verteilnetzbetreiber angeschlossen. In Deutschland gibt es über 850 Verteilnetzbetreiber, die mit unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert sind. Das variiert je nach Größe, der regionalen Lage und/oder dem Digitalisierungsniveau. Alle haben jedoch gemein, dass ihre Infrastruktur aus einer Zeit kommt, in der es noch keine bzw. kaum dezentrale Solaranlagen gab.

An einem sonnigen Tag speisen zur Mittagszeit alle PV-Dachanlagen mit maximaler Leistung in das Verteilnetz ein. Der Eigenverbrauch ist zu diesem Zeitpunkt gering, da die Batteriespeicher oft schon am Vormittag geladen wurden. Dadurch stehen die Netzbetreiber vor einem Problem: Die Netzinfrastruktur ist möglicherweise nicht ausreichend dimensioniert, um mit diesen großen Strommengen umzugehen.

Um die Stromnetze und Trafos zu schützen, müssen dann Netzbetreiber im schlimmsten Fall einzelne Netzstränge abschalten. Dies geschieht in der Regel kontrolliert, sehr selten und nur temporär. Blackouts, also längere und flächendeckende Stromausfälle durch “zu viel” Solarstrom, treten jedoch nicht auf.

Luftbild, Hochspannungsleitungen im Feld. Landwirtschaftliche Felder und Stromleitungen.
Herausforderung für das Stromnetz: Bei starker Sonneneinstrahlung müssen Verteilnetzbetreiber große Mengen Solarstrom ins Netz integrieren.

Welche Rolle spielt die Einspeisevergütung?

Die (feste) Einspeisevergütung ist eine staatliche Förderung, die im Erneuerbaren-Energien-Gesetz verankert ist. Sie regelt die Einspeisung von PV-Strom ins öffentliche Stromnetz. Die Einspeisevergütung erhalten alle Solaranlagen unter 100 kWp. Aktuell liegt sie bei 8,03 Cent pro Kilowattstunde. Grundsätzlich birgt der Eigenverbrauch – im Vergleich zur Einspeisung ins Netz – finanzielle Vorteile, sodass kleinere PV-Anlagen ihren überschüssigen Strom in der Regel erst dann einspeisen, wenn der eigene Bedarf abgedeckt ist. Aufgrund der festen Einspeisevergütung haben aber Anlagenbetreiber einen Anreiz, jede weitere Kilowattstunde ins Netz einzuspeisen, auch wenn in diesem Moment bereits ausreichend Strom produziert wird.

Die Einspeisevergütung sorgt dafür, dass Preissignale nicht bei den Solaranlagen ankommen. Anlagenbetreiber speisen weiter Strom ein, auch wenn die Strompreise sehr niedrig oder sogar bei null liegen. Selbst wenn die Nachfrage bereits gedeckt ist und das Stromsystem keinen zusätzlichen Strom benötigt, bleibt der Anreiz zur Einspeisung bestehen. Daher wird aktuell intensiv darüber diskutiert, wie die Einspeisung von Solarstrom besser an den tatsächlichen Bedarf und die Netzkapazitäten angepasst werden kann.

Lösungen: Wie können wir das Problem von Solarstrom-Überschuss bewältigen?

Nicht der Boom an klimafreundlichem und günstigem Solarstrom – also “zu viel Solarstrom” – ist das Problem, sondern ein Stromsystem und Netze, die nicht darauf ausgelegt sind, mit kurzfristig großen Strommengen umzugehen. Daher ist es mit Blick in die Zukunft wichtig, das Stromsystem fit für die Erneuerbaren zu machen. Das Stichwort hierfür ist „Flexibilität“. Was heißt das konkret?

Stromspitzen mit flexiblen Verbrauchern nutzen

Ein Stromsystem, das mittelfristig auf 100 Prozent Erneuerbaren Energien basiert, braucht ein Gleichgewicht zwischen Stromerzeugung und -verbrauch. Das heißt: Bei zusätzlichen Stromspitzen müssen flexible bzw. steuerbare Verbraucher hochfahren und den Strom dann nutzen oder zwischenspeichern, wenn er auch erzeugt wird.

Dies gelingt beispielsweise, wenn Elektroautos geladen werden oder Batterieheimspeicher einspeichern, sobald Solaranlagen den meisten Strom erzeugen. Grundsätzlich muss das Stromsystem so gestaltet sein, dass finanzielle Anreize bestehen, Strom flexibel zu beziehen. Das kann unter anderem durch dynamische Stromtarife oder Netzentgelte funktionieren, die den Strombezug verbilligen, wenn Stromspitzen auftreten.

Weiße Elektroautos stehen auf einem Parkplatz und sind an weiße moderne Ladesäulen angeschlossen.
Durch intelligente Ladung können Elektroautos Stromspitzen effizient nutzen und das Netz entlasten.

Netzinfrastruktur anpassen

Gleichzeitig müssen die Netzbetreiber in die Pflicht genommen werden, ihre lokalen Netze so auszubauen, dass sie zusätzliche PV-Spitzen aufnehmen können. Dafür muss einerseits der Netzausbau gestärkt und andererseits die Digitalisierung mit großer Geschwindigkeit vorangetrieben werden, um kurzfristig Netzzustandssignale verarbeiten und weitergeben zu können – z.B. durch reduzierte Netzentgelte.

Eine wichtige Grundlage ist dabei der Einbau von intelligenten Messsystemen (Smart-Metern) bei allen Endverbraucher:innen, die flexible Verbrauchseinrichtungen (Wärmepumpe, Elektro-Auto, Heimspeicher etc.) betreiben. Ohne Smart Meter (inkl. Steuerbox) fehlt die technische Ausstattung, die Signale zu verarbeiten und die Flexibilitäten hochzufahren. Der Smart-Meter-Rollout hinkt jedoch im europäischen Vergleich in Deutschland noch deutlich hinterher, um das volle Potenzial zu entfalten. Durch eine erfolgreiche Digitalisierung könnte mehr Strom aufgenommen werden, wenn er besonders grün und günstig ist.

iMSys (Smart Meter) Display
Steuerbare Messeinrichtungen helfen dabei, flexible Stromverbraucher dann zu nutzen, wenn viel Strom eingespeist wird.

Fazit: Zu viel Solarstrom gibt es nicht

Der schnelle Ausbau der Solarenergie ist eine zentrale Säule der Energiewende und des Klimaschutzes in Deutschland.

Die Erfolge beim Ausbau der Erneuerbaren Energien zeigen, dass die feste Einspeisevergütung einen wichtigen Anreiz bietet. Gleichzeitig müssen die Marktmechanismen und die Netzinfrastruktur besser aufeinander abgestimmt werden, um das volle Potenzial zu nutzen. Mit flexiblen Lösungen, einer besseren Digitalisierung und einem modernen Stromnetz können wir die Potenziale der Solarenergie noch besser ausschöpfen.

FAQ – Häufige Fragen zu „zu viel“ Solarstrom

Kann man zu viel Solarenergie haben?

Nein, denn Erneuerbare Energien sind Klimaschützer Nummer eins und der Bedarf an Strom steigt rapide an. Mit der zunehmenden Elektrifizierung aller Sektoren, z.B. durch eine steigende Anzahl an Elektroautos oder dem zunehmenden Einbau von Wärmepumpen wird die Stromnachfrage zwangsläufig steigen. Dafür werden große Mengen an Ökostrom benötigt, um die Klimaziele erreichen zu können. Daher ist auch langfristig ein Zubau an Solarenergie notwendig, um die Nachfrage zu decken und einen schnellen Ausstieg aus der klimaschädlichen Kohle zu ermöglichen. Da Photovoltaik die kostengünstigste Form der Stromerzeugung ist, sinkt dadurch auch noch der Strompreis.

Was passiert mit überschüssigem Photovoltaik-Strom?

Privathaushalte mit eigenen PV-Anlagen nutzen den damit erzeugten Strom in der Regel zunächst selbst (Eigenverbrauch). Erst wenn der eigene Bedarf gedeckt ist und die PV-Anlage darüber hinaus überschüssigen Strom erzeugt, wird dieser ins Netz eingespeist. Hierfür erhält der Anlagenbetreiber die gesetzliche Einspeisevergütung.

Ist es schlecht, zu viele Solarmodule zu haben?

Nein, denn zusätzliche Solarmodule können einerseits perspektivisch den Strom für weitere Verbrauchseinrichtungen liefern, z.B. für eine zukünftige Anschaffung eines E-Autos oder einer Wärmepumpe. Andererseits liefern sie zusätzliche Ökostrom für das Energiesystem. Wie viele Solarmodule aus einer finanziellen Perspektive sinnvoll sind, muss individuell bewertet werden.