Ein Mann in einem weißen Hemd sitzt an einem Tisch, stützt seine Arme darauf und schaut in die Kamera. Im Hintergrund ist ein Modell einer Windturbine vor unscharfen Gebäuden sichtbar.
Sönke Tangermann, Vorstand bei Green Planet Energy eG

Das deutsche Unternehmen Nukem Technologies GmbH – mitverantwortlich für den Rückbau der hiesigen Atomkraftwerke – ist fest in der Hand des staatlichen russischen Konzerns Rosatom. Und der Geschäftsführer der Tochterfirma Nukem Technologies Engineering Services GmbH, Thomas Seipolt, ist als Vorstandsvorsitzender des Vereins Kerntechnik Deutschland e.V. (KernD) zugleich der höchste deutsche Atomlobbyist.

Damit existiert eine direkte Verbindung der vom russischen Präsidenten Wladimir Putin selbst gegründeten staatlichen Atomagentur Rosatom in die deutsche Atomlobby, ohne dass dies einer breiten Öffentlichkeit bewusst wäre.

Die Geschichte von Nukem reicht zurück in die Anfänge der deutschen Atomforschung der 1960er-Jahre. Der Brennelemente-Hersteller besetzte damals mit einem Netz aus Tochterfirmen wichtige Schlüsselkompetenzen der aufstrebenden Atomindustrie, wie Anlagenbau, Transport von radioaktiven Stoffen und Uranhandel. Mit dem Verkauf der Nukem-Gruppe an einen Finanzinvestor im Jahr 2006 gingen die Geschäftsbereiche Rückbau, Management von radioaktiven Abfällen sowie Ingenieurtechnik an die Nukem Technologies GmbH über. 2009 wurde diese GmbH vom russischen Kraftwerksbauer Atomstroyexport für 23,5 Millionen Euro zu 100 Prozent übernommen.

Zwei Jahre zuvor, im Dezember 2007, hatte Putin das Gesetz zur Gründung der Föderalen Agentur für Atomenergie Russlands erlassen. Ungewöhnlich an dieser Agentur ist, dass sie sowohl den militärischen als auch den zivilen Atombereich kontrolliert – darunter Atomstroyexport.

Mit der Übernahme von Nukem Technologies hatte sich Atomstroyexport das Knowhow für den Rückbau von AKWs mit westlicher Technologie, den Zugang zum europäischen Markt sowie laufende Aufträge in Europa, Südafrika und Russland gesichert. Zu dem Zeitpunkt wies das Unternehmen Umsätze in Höhe von 23,7 Mio. € aus; 98,8 Prozent davon erwirtschaftete es außerhalb Deutschlands. Ab 2011 intensivierte Nukem Technologies seine Tätigkeiten auf dem deutschsprachigen Markt. Ab diesem Zeitpunkt kann also davon ausgegangen werden, dass das russische Staatsunternehmen Rosatom nicht nur Schlüsselstellen in der Wertschöpfungskette der deutschen Atomwirtschaft besetzt, sondern auch am Rückbau deutscher Kernkraftwerke verdient.

Thomas Seipolt heuerte im Jahr 2002 als studierter Maschinenbau- und Kerntechnikingenieur als Abteilungsleiter bei Nukem Technologies im bayerischen Alzenau an. 2009 stieg er unter russischer Aufsicht zum Bereichsleiter auf und ist seit 2014 Geschäftsführer der Tochterfirma Nukem Technologies Engineering Services GmbH.

Seit 2021 ist Thomas Seipolt zudem Vorstandsvorsitzer von Kerntechnik Deutschland e. V. (KernD), einem Zusammenschluss des Deutschen Atomforums e. V. und des Wirtschaftsverbandes Kernbrennstoff-Kreislauf und Kerntechnik e. V. Angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und der damit zusammenhängenden Frage der Energieimporte zweifelt der Verband an der „Machbarkeit und Sinnhaftigkeit“ des Atomausstiegs. KernD plädiert vorgeblich zur Sicherung der Energieversorgung für einen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke über den Jahreswechsel hinaus. Nur so könne ein Beitrag zur Energieversorgungskrise geleistet werden, die „noch mehrere Jahre andauern wird“. Der angedachte Streckbetrieb sei zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr sinnvoll. Um den Strompreis zu senken und den CO2-Ausstoß zu minimieren, sei die Beschaffung neuer Brennstäbe dringend nötig. Auf Twitter schmückt sich der Verband gerne mit Aussagen der deutschen Mittelstands- und Wirtschaftsunion, die unter anderem fordert, sich durch längere Laufzeiten aus „den Fängen Putins [zu] befreien“.

Umso paradoxer erscheint es, dass der Vorstandsvorsitzende von KernD selbst auf der Gehaltsliste eines russisch kontrollierten Unternehmens steht. Mit der zentralen Rolle im Atomsektor spielen längere Laufzeiten und der Ausbau der Atomkraft in Europa vor allem Russland in die Hände, das zudem direkt oder indirekt rund 50 Prozent des weltweiten Uranhandels kontrolliert. In Deutschland ist im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern zwar keine direkte Abhängigkeit von Brennstoffen feststellbar, aber durch die Übernahme von Nukem Technologies hat sich Russland eine strategische Position im europäischen Markt gesichert – und es geschafft, den obersten Atomkraftlobbyisten Deutschlands zu stellen.

Mit der Frage nach russischem Einfluss auf die deutsche Atombranche konfrontiert, ist die Reaktion von KernD mehr als verwunderlich: Zwischen Rosatom und KernD gebe es „keine personellen Verflechtungen“. Nukem Technologies sei ein Traditionsunternehmen, das schon lange vor der Übernahme durch Rosatom Mitglied in der Vorgängerorganisation von KernD gewesen sei. „Insoweit stellt weder die Eigentümerstruktur noch das Verbandsengagement des Geschäftsführers von Nukem Technologies einen außergewöhnlichen Sachverhalt dar“, teilt ein Sprecher auf Anfrage mit. Zugleich plädiert der Verband Mantra-artig dafür, dass „im Sinne der Energieunabhängigkeit“ auf den Atomausstieg verzichtet werden müsse.

Angesichts der Doppelrolle von Thomas Seipolt muss die problematische Zusammenarbeit mit Russland, im Sinne der bei solch sensiblen Themen erforderlichen Transparenz, sofort offengelegt und der erkennbare Interessenskonflikt beendet werden. Dass Russlands Energiewirtschaft unpolitisch und Lieferungen sicher seien, galt auch beim Gas jahrzehntelang als Grundannahme. Die aktuelle Erfahrung lehrt, dass Russland jede Möglichkeit nutzt, den Westen über energiewirtschaftliche Verflechtungen unter Druck zu setzen. Dessen sollte sich jeder – insbesondere in der Politik – bewusst sein, der ein Festhalten an der Atomkraft in Deutschland fordert.