Am 15.4. heißt es endgültig: Adieu, Atom!
Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und der damit ausgelösten Energiekrise hat die Bundesregierung im November 2022 beschlossen, die Einsatzbereitschaft der verbliebenen drei deutschen Atomkraftwerke bis ins Frühjahr 2023 zu verlängern. Doch am 15. April 2023 gehen die letzten deutschen Meiler endgültig vom Netz.
Wir zeigen hier, warum ein weiterer temporärer "Ausstieg aus dem Atomausstieg" nämlich keinen Sinn macht, sondern stattdessen zahlreiche neue Probleme und ungelöste Fragen aufwirft. Nachfolgend finden Sie dazu zahlreiche von uns beauftragte Studien, Analysen und Medien, in denen dargelegt wird, dass uns Atomkraft weder in der Klimakrise hilft, noch dabei, unabhängiger von fossilen Energieimporten zu werden - und dass wir deshalb lieber konsequent erneuerbare Energien ausbauen sollten, statt weiter in riskante und teure Technologien wie die Atomkraft zu investieren oder ihre Laufzeiten zu verlängern.
Gute Gründe gegen Laufzeitverlängerungen
Hier haben wir zahlreiche Argumente zusammengestellt, die gegen Laufzeitverlängerungen der Atomkraft in Deutschland sprechen. Die Aussagen basieren auf eigens beauftragten Studien und Analysen bzw. auf Recherchen in öffentlich zugänglichen Quellen.
Stromversorgung im vergangenen Winter war auch ohne Atomkraftwerke jederzeit gesichert
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Der längere Betrieb von Atomkraftwerken war für die sichere Versorgung Deutschlands mit Strom im zurückliegenden Winter nicht notwendig gewesen. Das ist das Ergebnis einer Studie des Analyse-Instituts Enervis im Auftrag der Ökoenergiegenossenschaft Green Planet Energy und der Umweltschutzorganisation Greenpeace. Laut Enervis-Studie sank die Stromerzeugung der drei AKWs zwischen November 2022 und April 2023 auf rund 12,2 Terawattstunden Strom. Das sind etwa 30 Prozent weniger als in Vergleichszeiträumen der letzten fünf Jahre. Auch weitere Effekte, die in der politischen Debatte um einen AKW-Weiterbetrieb eine Rolle spielten, waren rückblickend nur marginal: So produzierten fossile Kraftwerke angesichts des zusätzlich eingespeisten Atomstroms zwar insgesamt rund 2,4 Terawattstunden weniger Strom. Dadurch sanken die damit einhergehenden CO2-Emissionen aber lediglich um 0,2 Prozent, verglichen mit dem gesamten CO2-Ausstoß in Deutschland im Jahr 2022. Ebenfalls gering fiel der dämpfende Einfluss der Laufzeitverlängerungen auf die Strompreise aus.
Längere Laufzeiten ersetzen höchstens ein Prozent des Erdgasbedarfs
Eine Laufzeitverlängerung für die letzten drei deutschen Atomkraftwerke über 2022 hinaus würde lediglich ein Prozent des Erdgasverbrauchs in Deutschland einsparen. Den Berechnungen des Analyseinstituts Energy Brainpool zufolge wurden 2020 in Deutschland insgesamt 875 Terrawattstunden (TWh) Erdgas verbraucht. Ließe man alle drei AKWs im Jahr 2023 weiterlaufen, könnten die drei AKWs zusammen maximal 8,7 TWh des Erdgasverbrauchs einsparen, was einem Prozent des angenommenen Jahresverbrauchs entspricht. Bei zwei AKWs wären es noch maximal knapp 5,5 TWh beziehungsweise 0,6 Prozent. Wenn nur eines der AKWs in Betrieb bliebe, reduziert sich der Effekt laut Energy Brainpool auf 3,1 TWh bzw. 0,4 Prozent der Verbrauchsmenge von 2020.
Energiewende geht auch ohne Atomkraft
- Energiewende und Klimaschutz sind auch ohne Atomkraft realisierbar. Es existieren verschiedene Pfade zum Erreichen der Klimaziele – der deutsche Atomausstieg 2022 wird in keiner Studie in Frage gestellt. Auch werden keine alternativen „Atom-Szenarien“ durchgespielt.
- Das Erreichen der Klimaschutzziele steht und fällt mit den Erneuerbaren Energien. Vor allem die kostengünstigen und potenzialreichen Technologien Windenergie und Photovoltaik müssen dynamisch ausgebaut werden. Bis 2045 muss die installierte Leistung aus Wind und Solar laut den verglichenen Szenarien auf ca. 433 bis 704 Gigawatt (GW) gesteigert werden.
Atomkraftwerke sind keine Garantie für Versorgungssicherheit in der Energiekrise
Atomkraftwerke fallen deutlich häufiger für die Stromproduktion aus als vergleichbare Kraftwerke. So waren in Frankreich seit dem Jahr 2018 im Schnitt nur zu 66 Prozent der installierten AKW-Leistung abrufbar. Die Verfügbarkeit der Meiler für die Versorgung lag damit rund ein Drittel unter der von Gas- und Wasserkraftwerken. Im untersuchten Beispielland Frankreich verschlechterte sich laut Analyse die Verfügbarkeit der dortigen Reaktoren langfristig im Schnitt um vier Prozentpunkte pro Jahr. Im April und Mai 2022 wurden dort sogar historische Tiefstwerte erreicht: Mehr als die Hälfte der installierten Kraftwerksleistung in Frankreich stand in diesem Zeitraum still.
Atomkraft macht uns nicht unabhängiger. Im Gegenteil.
Die Herkunft von Uran ist oft ein blinder Fleck in der Diskussion rund um die Laufzeitverlängerung. Dabei importiert Europa nicht nur Gas, sondern auch knapp 20 Prozent seines Urans aus Russland. Die gleiche Menge kommt nochmal aus Kasachstan, einem Land mit dem Russland eng verbunden ist. 20 Prozent Uran importiert Europa aus Niger – die Minen dort sind in chinesischem Staatsbesitz, ebenso die meisten Uranbergwerke in Namibia (4 Prozent Importanteil). Nur 0,5 Prozent des eingesetzten Urans kommen aus Europa selbst – und lediglich ein Drittel des weltweiten Imports kommt von Firmen, die nicht im Staatsbesitz eines totalitären Regimes sind.
Der russische Konzern TVEL, der Teil von Rosatom ist, hat sich auch in anderen Bereichen unverzichtbar gemacht. Viele Reaktoren im Osten Europas sind auf Brennstoff- und Ersatzteillieferungen aus Russland angewiesen. Aber auch der französische Konzern Areva arbeitet beispielsweise mit TVEL zusammen, um AKWs in Westeuropa mit Brennstoff zu beliefern. Vergangenes Jahr wollte TVEL auch in die Brennelementefabrik im niedersächsischen Lingen einsteigen. Das Unternehmen zog den Antrag mit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine allerdings zurück.
Atomstrom drängt Erneuerbare aus dem Netz und schadet so der Energiewende
Längere Laufzeiten für Atomkraftwerke führen dazu, dass deutlich häufiger Erneuerbare-Energien-Anlagen abgeschaltet werden und so erhebliche Ökostrommengen verloren gehen - sogar grenzüberschreitend. Das zeigt eine Kurzstudie des Analyseinstituts Energy Brainpool am Beispiel Frankreichs. Würden die aktuell dort diskutierten Laufzeitverlängerungen für französische AKWs Realität, so würden allein dadurch im Jahr 2030 in Frankreich und seinen Nachbarländern Spanien und Deutschland mehr als zwei Milliarden Kilowattstunden sauberer Ökostrom aus dem Netz gedrängt. Mit der Strommenge könnten 617.000 Durchschnittshaushalte ein Jahr lang versorgt werden.
Warum es nicht so einfach möglich ist, Atomkraftwerke weiterlaufen zu lassen
Als Reaktion auf die Nuklearkatastrophe von Fukushima beschloss die schwarz-gelbe Koalition 2011, schrittweise aus der Atomkraft auszusteigen. Mit dem 31.12.2022 sollen die letzten drei Reaktoren Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland vom Netz gehen. Dieser Beschluss ist in Paragraf 7 des Atomgesetzes festgehalten. Eine Änderung wäre nur mit einer Mehrheit im Bundestag möglich. Auch internationale Abkommen wie die Aarhus-Konvention und die Espoo-Konvention müssten berücksichtigt werden.
Die Branche hat mit dem Ausstieg zu Ende des Jahres geplant. Zulieferer und Dienstleister haben sich bereits umorientiert. Die Personalplanung ist abgeschlossen. Sicherheitsrelevante Prüfungen, Instandhaltung und Nachrüstarbeiten fanden aufgrund des baldigen Endes nicht mehr vollumfänglich statt. In Zeiten von Lieferschwierigkeiten und Fachkräftemangel ist es deshalb fraglich, ob ein Weiterbetrieb sicher möglich wäre.
Hinzu kommt, dass auch der Vorrat an Brennstäben an das Ausstiegsdatum geknüpft ist. Die Bestellfrist für neue Brennelemente endete jedoch im Mai 2022. Beschaffung, Herstellung und Prüfung dauern Minimum ein Jahr, eher 18 bis 24 Monate. Selbst wenn die Laufzeit durch sogenannten Streckbetrieb, künstlich verlängert werden würde, könnte laut einem Prüfvermerk der Bundesregierung erst mit neuen Brennstäben auch neuer Strom erzeugt werden.
Atommüll und Störfallrisiken: Diese Probleme der Atomkraft bleiben bestehen
Der Atomausstieg in Deutschland ist beschlossen. Doch immer wieder flammt - befeuert von einer kleinen Atomlobby - eine Geisterdebatte um mögliche Laufzeitverlängerungen auf, die selbst von den AKW-Betreibern inzwischen als unrealistische Option bezeichnet werden. In den dennoch stattfindenden medialen Debatten fallen die zwingenden Gründe für den Atomausstieg oft unter den Tisch - wir nennen hier deshalb noch einmal vier wichtige Gründe, warum Atomkraft eben keine Alternative im schnellen Kohleausstieg darstellt: Zu teuer, energiewirtschaftlich unsinnig, riskant - und auch die Frage nach einer sicheren Endlagerung des gefährlichen Atommülls (siehe Grafik) ist noch auf viele Jahre ungelöst.
Die versteckten Kosten von AKW-Laufzeitverlängerungen
Das Ausstiegsdatum ist seit 2011 gesetzt. Die Betreiber der Atomkraftwerke bereiten sich schon lange auf diesen Termin vor. Sie haben ihre Belegschaft abgebaut, Lieferverträge gekündigt, Dienstleistungsverträge auslaufen lassen und kein neues Brennmaterial bestellt. Die Regelungen zu Vorruhestand und Altersteilzeit wieder rückgängig zu machen, würde die Betreiber erhebliche Summen kosten. Auch für Zulieferer und Dienstleister müssten finanzielle Anreize gesetzt werden. Lieferschwierigkeiten und Fachkräftemangel verstärken das Problem. Hinzu kommt der Sanierungsstau in den Kraftwerken. Die Bundesregierung rechnet mit einem Investitionsbedarf in Millionenhöhe. Wie hoch die Prämie für eine Weiterversicherung der Kraftwerke wäre, lässt sich derzeit ebenfalls nicht abschätzen. Da die Brennelemente in den drei verbliebenen Kraftwerken weitestgehend aufgebraucht sind, könnte die Laufzeit nur durch kurzzeitiges Abschalten oder Reduzieren der Leistung verlängert werden. Der sogenannte Streckbetrieb verlagert die Stromproduktion vom Sommer in den Winter, sorgt aber nicht für zusätzlichen Strom. Um bereits geschlossene Lieferverträge einzuhalten, müssten die Betreiber im Sommer deshalb kurzfristig Energie zukaufen. Die ist nicht nur teuer, sondern stammt höchstwahrscheinlich auch aus Kohlekraftwerken.
Quelle: BMWK
Laufzeitverlängerungen leisten keinen Beitrag zum Klimaschutz
Vorweg: Atomenergie ist nicht emissionsfrei, wie von Befürworter:innen immer wieder gerne behauptet. Es stimmt, dass bei der Stromproduktion kaum CO2 freigesetzt wird. Bezieht man allerdings Uranabbau, Brennstoffherstellung, den aufwändigen Bau von Kraftwerken und die Endlagerung mit ein, ergibt sich ein anderes Bild. Atomstrom hat dann eine deutlich schlechtere CO2-Bilanz als erneuerbare Energien wie Windkraft, Solarenergie und Wasserkraft. Quellen. wise, Umweltbundesamt.
Die Brennelemente in den letzten drei Atomkraftwerken sind weitestgehend aufgebraucht. Durch Herunterfahren der Leistung im Sommer könnte der Betrieb jedoch über den Jahreswechsel hinaus verlängert werden. Der sogenannte Streckbetrieb führt aber insgesamt nicht zu mehr Strom, lediglich zu einer Verlagerung in den Winter. Die Betreiber müssten im Sommer Energie zukaufen, um bestehende Lieferverträge einzuhalten. Dieser Strom wird höchstwahrscheinlich in Kohlekraftwerken produziert. Ebenso wie der Strom, den wir im Winter benötigen, wenn Russland tatsächlich kein Gas mehr liefert. Ein Nullsummenspiel fürs Klima also. Quelle: BMWK
Auch langfristig gesehen, ist Atomkraft keine Lösung für den Klimaschutz. Der Bau neuer Kraftwerke dauert lange, die Folgen für die Umwelt sind nicht abschätzbar und das Geld, was investiert werden würde, wird für die Entwicklung wirklich klimafreundlicher Lösungen dringend benötigt. Quelle: World Nuclear Report.
Atomkraft ist kostengünstig? Von wegen!
Die Nutzung der Atomenergie zur Stromerzeugung in Deutschland hat seit den 1950er-Jahren gesamtgesellschaftliche Kosten von vielen hundert Milliarden Euro verursacht. Allein zwischen 2007 und 2019 – der Zeitspanne mit der besten Quellenlage – summieren sich die gesamtgesellschaftlichen Kosten von Atomstrom auf bis zu 533 Milliarden Euro. Das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) hat die seit 1955 erfassbaren Förderungen und staatlichen Ausgaben zusammengetragen. 287 Milliarden Euro machen in diesem Zeitraum direkte und indirekte staatliche Förderungen aus – wie etwa Finanzhilfen, Forschungsausgaben oder Steuervergünstigungen, aber auch Vorteile für Atomkonzerne durch den Emissionshandel oder eigene Rückstellungen.
Deutsche Atommeiler sind nicht die sichersten der Welt
Alle Atomanlagen weltweit müssen alle zehn Jahre eine umfangreiche Sicherheitsüberprüfung (PSÜ) durchlaufen. Die Prüfung der drei verbliebenen Kraftwerke fand zuletzt 2009 statt, die Prüfung im Jahr 2019 unterblieb in Hinblick auf die baldige Abschaltung der Anlagen. Bei einem Weiterbetrieb wäre die letzte große Sicherheitsabnahme also 13 Jahre her. Laut eines Vermerks geht die Bundesregierung von einem anstehenden einjährigen Prüfprozess aus, der Investitionen in Millionenhöhe nach sich ziehen würde.
Doch auch durch Nachrüsten erreichen Anlagen nicht immer den aktuellen Stand der Technik. Szenarien wie absichtlich herbeigeführte Flugzeugabstürze wurden beim Bau alter Anlagen noch nicht berücksichtigt. Dass auch kriegerische Auseinandersetzungen in der Nähe von AKWs eine reale Gefahr darstellen können, hat uns der Krieg in der Ukraine gezeigt.
Im internationalen Sicherheitsvergleich landeten die deutschen Atomkraftwerke 2020 auf Platz 5. Defizite traten vor allem im Bereich Cybersicherheit (63 von 100 Punkten) und generelle Sicherheitskultur (50 von 100 Punkten) auf.