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EnergiewendeWindgas"Übermäßige Wasserstoffproduktion würde Erdgasbedarf in die Höhe treiben"

„Übermäßige Wasserstoffproduktion würde Erdgasbedarf in die Höhe treiben“

Die EU-Kommission will im Rahmen eines Delegierten Rechtsaktes die Kriterien für grünen Wasserstoff definieren, der künftig im Verkehrs- und Transportsektor zum Einsatz kommen soll. Ein Problem dabei: Eine übermäßige Erzeugung von Wasserstoff würde den Erdgasverbrauch nicht senken – sondern sogar erhöhen, warnt Marcel Keiffenheim, Leiter Politik und Kommunikation bei Green Planet Energy:

An Bekenntnissen zu grünem Wasserstoff mangelt es derzeit nicht. Sowohl die Politik als auch die Wirtschaft setzen vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine verstärkt auf einen ‚Markthochlauf‘ für das klimaschonende Gas. Wie sich Erzeugung, Transport und die Nutzung von grünem Wasserstoff organisieren lassen, wird derzeit in Brüssel erarbeitet. Dieser Delegierte Rechtsakt wird für den Mobilitätsbereich gelten; wahrscheinlich werden die hier festgeschriebenen Anforderungen später aber auch auf andere Sektoren übertragen.

Portraitfoto von Marcel Keiffenheim
Es kommentiert Marcel Keiffenheim. Foto: Christine Lutz / Green Planet Energy eG

Deshalb ist es auch umso wichtiger, schon jetzt strenge Qualitätskriterien an die Definition von grünem Wasserstoff zu legen. Denn ohne sie würde eine große Menge an produziertem Wasserstoff vor allem den Bedarf an Erdgas in die Höhe treiben. Das ist weder im Sinne des Klimaschutzes, noch macht es uns unabhängiger von – russischem oder anderem – fossilen Erdgas, im Gegenteil. Denn beim aktuellen Stand der Energiewende haben wir nur in einer begrenzten Zahl von Jahresstunden so viel erneuerbaren Strom im Netz, dass zusätzlich zum herkömmlichen Stromverbrauch auch die Nachfrage neu installierter Elektrolyseure mit Ökostrom gedeckt werden kann. In allen anderen Stunden des Jahres müssten konventionelle Kraftwerke hochfahren, um den wachsenden Strombedarf für die Elektrolyse zu decken.

Aufgrund der Marktmechanismen kommen dann meist fossile Kraftwerke zum Einsatz. In der Regel handelt es sich um Gaskraftwerke, weil gerade sie in der Reserve zur Abdeckung von Lastspitzen dienen. Deshalb ist es wichtig, die Jahresstundenzahl von Elektrolyseuren regulatorisch zu begrenzen. Und zwar auf jene Zeiten mit einem hohen Anteil an Wind- und/oder Sonnenstrom. Im besten Fall auf die Stunden, in denen mehr Strom aus Erneuerbaren anfällt, als das Netz abtransportieren kann. Dann ist die Produktion von Wasserstoff am sinnvollsten, weil sie Abregelungen oder einen Redispatch verhindert. Die Wasserstoff-Erzeugung nur in diesen Zeiten unterstützt die Netzstabilität und verbessert die Integration der Erneuerbaren ins Energiesystem.

Elektrolyseure wie dieser im schleswig-holsteinischen Haurup sollten nur zu bestimmten Zeiten laufen, um Energiewende und Klimaschutz zu nützen. Foto: Andreas Oetker-Kast

Wenn wir allerdings die Jahresstundenzahl nicht begrenzen, könnte immer wieder folgende, geradezu absurde Situation entstehen: Wir stellen zwar Wasserstoff her, um fossiles Gas zu ersetzen, beispielsweise für die H2-ready-Gaskraftwerke, welche die Bundesregierung plant. Für die Wasserspaltung nutzen wir jedoch Strom aus Kraftwerken, die mit Erdgas befeuert werden. Und wegen der Wirkungsgradverluste in Kraftwerk und Elektrolyseur benötigen wir sogar rund dreimal mehr Erdgas, als wenn der fossile Brennstoff ohne Umwandlung in Wasserstoff direkt in die Gasturbine gewandert wäre.  Durch den Ausbau erneuerbarer Energien für die Stromerzeugung treten solche absurden Situationen immer seltener auf. Aber derzeit und in den nächsten Jahren gilt: Je mehr Wasserstoff wir produzieren, desto eher droht aus einer Lösung für den Klimaschutz ein Problem zu werden.

Einige Formulierungen im Delegierten Rechtsakt zeigen, dass der EU-Energiekommissarin Kadri Simson und ihrem Team diese Effekte durchaus bewusst sind. Doch offensichtlich wirkte ein solcher Lobbydruck aus der Industrie, dass die guten Absichten durch Ausnahmeregelungen und großzügige Übergangsfristen durchlöchert wurden. Um dem einen Riegel vorzuschieben, muss die EU die Zahl der Volllaststunden begrenzen –  damit grüner Wasserstoff nur in den Zeiten produziert wird, in denen der dafür nötige Ökostrom auch wirklich zur Verfügung steht. Es stimmt:  Mit einer solch strikten Linie werden wir geringere H2-Mengen produzieren, als sich manche in Politik und Industrie erträumen. Aber Wasserstoff ist nun mal kein Selbstzweck, sondern macht nur als Träger erneuerbarer Energien Sinn. Auf keinen Fall dürfen wir dahin kommen, dass wir mit einem übertriebenen Hochlaufen der Wasserstoffwirtschaft unsere Klimaziele torpedieren – oder die Abhängigkeit von fossilen Energien und russischem Erdgas sogar noch erhöhen.

Hinweis: Der Text erschien zuerst als Gastkommentar beim Informationsdienst Energate (Bezahlschranke).

 

Marcel Keiffenheim
Marcel Keiffenheim
Leitet bei Green Planet Energy den Bereich Politik und Kommunikation. Hat 20 Jahre lang als Journalist gearbeitet, unter anderem für Frankfurter Rundschau und Greenpeace Magazin, bevor es ihn in die Energiepolitik zog.