Im 20.000 Einwohner:innen zählenden Städtchen Weißwasser in der Oberlausitz praktizieren die Vereinsmitglieder der „Spinnerei“ radikale Nachhaltigkeit. Was das bedeutet, hat uns der Vereinsmitgründer Adrian Rinnert erzählt.
Zweiter Teil unserer Blogreihe „Solarstrom fürs Kohlerevier“
Selbst hergestellter Lehmputz an Wänden und Decken, in den Boden eingebettete Flaschen als Dämmung und eine wilde Mischung aus Kiefer, Eiche, Fichte und Esche – Totholz aus dem Wald, das im eigenen kleinen Sägewerk bautauglich gemacht wurde: So sieht es auf der Baustelle einer ehemaligen Holzwollspinnerei in Weißwasser in der sächsischen Oberlausitz aus. Am Werk ist hier Adrian Rinnert, Gründungsmitglied und verantwortlich für einige Projekte des Vereins „Eine Spinnerei vom nachhaltigen Leben e. V.“.
Für das Gebäude von 1870 verfolgt der Verein einen klaren Ansatz: radikal nachhaltiges Bauen. „Wann immer möglich vermeiden wir den Kauf neuer Baustoffe. Wenn wir Decken oder Böden reparieren, versuchen wir das Material von irgendwo anders zu bekommen“, erklärt Rinnert. Die Fenster im Obergeschoss stammen zum Beispiel aus einem anderen kürzlich sanierten Hausprojekt. Entstehen soll auf den 200 Quadratmetern das Herzstück der Spinnerei: ein Zentrum für Begegnung und Umweltbildung.
Auch bei seinen weiteren Projekten agiert der Verein radikal nachhaltig: Als „SpinnRäder für die Lausitz“ fahren mittlerweile fünf Velotaxis durch die ländliche Region nahe des Tagebaus Nochten II. Mehrere Personen – oder bis zu 300 Kilo Zuladung – können die Fahrrad-Rikschas transportieren. So nutzt unter anderem die Freie Alternativschule Weißwasser die Fahrzeuge regelmäßig, um mit den Kindern in den Wald oder zum Schwimmen zu fahren.
Freies Lernen in der Alternativschule Weißwasser
24 Kinder gehen aktuell in die vom Verein gegründete Schule; die üblichen Schulfächer und feste Klassenverbände gibt es nicht. Statt Lehrer:innen arbeiten hier Lernbegleiter:innen auf Augenhöhe mit den Kindern. „Wir kennen das Schulangebot der Region und waren dann vor acht Jahren sehr motiviert eine eigene Schule zu gründen“, erinnert sich Rinnert. An der Schule sind vor allem Kinder von Eltern, die ihren Sprösslingen ein selbstbestimmtes Lernen ermöglichen wollen. Die Kinder sind hier keiner festen Klassenstufe zugeordnet. Sie sortieren sich bei den Aktivitäten nach ihren individuellen Interessen und dem Könnensstand. Und die Schule wächst mit ihren Schüler:innen: Aktuell sind einige der Kinder in der 5. Klasse angelangt. Dafür hat die Freie Alternativschule jüngst eine Genehmigung als „Oberschule plus“ erhalten.
Klar, dass Bildung für nachhaltige Entwicklung hier auf sämtlichen Ebenen fest verankert ist: „Es gibt in der Schule zum Beispiel überwiegend gebrauchte Elektrogeräte, die uns unter anderem die Stadt überlassen hat“, erzählt Rinnert. „Um Papier zu sparen, malen die Kinder auch mal auf mitgebrachten alten Tapeten. Die Kinder finden das gut und lernen so spielerisch und alltagsnah nachhaltig zu denken.“ Als fester Bildungsinhalt ist Kochen im Schulalltag integriert. Nahezu alles, was Köchin und Kinder hier verarbeiten, ist saisonal und stammt aus regionaler und biologischer Landwirtschaft. Gekocht wird vegan oder vegetarisch.
Rundum nachhaltig: Herrenloses Obst kommt in den Dampfentsafter
Im Keller der sogenannten „Villa“, dem Wohnhaus einiger Vereinsmitglieder in Weißwasser, stehen drei große Tiefkühltruhen. „Da sind gerettete Lebensmittel drin“, erklärt Rinnert. „Hier in der Gegend gibt es viele Alleen mit Apfel-, Birn- oder Pflaumenbäumen. Das runtergefallene Obst sammeln wir auf und stellen daraus zum Beispiel Dicksäfte, Aufstriche oder Säfte her. Manchmal sammeln wir 300 bis 400 Kilo Obst in der Woche ein.“ Betrieben werden die Truhen – und natürlich auch die Velotaxis – mit Strom aus der eigenen PV-Anlage, gefördert mit dem Solarstrom plus–Budget von Green Planet Energy. Über einen Fördercent in diesem Tarif können Stromkund:innen den Ausbau von Photovoltaik sowie nachhaltiges Leben aktiv unterstützen.
An Ideen dafür mangelt es Adrian Rinnert und den anderen Mitgliedern der Spinnerei jedenfalls nicht: „Saft und Dicksaft aus dem geretteten Obst gibt es bei uns meistens dann, wenn die Sonne scheint – dann haben wir viel zusätzlichen Strom und können damit unseren Dampfentsafter betreiben.“ Ganz bewusst wird aber keines der Produkte vermarktet. Über das soziale Netzwerk finden die Lebensmittel ganz ohne Geld ihre Wege in die Küchen von anderen Projekten und engagierten Menschen. Derzeit bemüht sich der Verein um Mitstreiter:innen für ein ganz individuelles Konzept der solidarischen Landwirtschaft. Es gibt bereits viele Ideen, was in einem solchen Rahmen ausprobiert werden könnte: Eichel- oder Obstmehle, Fruchthonige oder die Verwendung von Insekten – Vorhandenes soll kreativ genutzt werden. Dabei gehen die Vorstellungen nicht selten in spannend-exotische Richtungen.
Dies ist der zweite Teil unserer aktuellen Blog-Reihe „Solarstrom fürs Kohlerevier“. Nächste Woche erscheint Teil 3. Die Beiträge in der Übersicht:
- Zurück in die Zukunft, zurück ins Rheinische Revier
- (K)eine Spinnerei: Solaranlage in der Lausitz
- Kuckum im Rheinischen Revier: Gerettet – und jetzt?
- Wenn Warten sich lohnt: Ein Pfarrhaus mit PV-Anlage im Rheinischen Revier