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EnergiewendeAnti-AtomkraftLanger Marsch gegen Kohle und Atom: Der Kreuzweg von Gorleben nach Garzweiler

Langer Marsch gegen Kohle und Atom: Der Kreuzweg von Gorleben nach Garzweiler

Rückblick auf eine einzigartige Aktion: Umweltschützer:innen und Kirchengruppen haben auf sich auf dem 470 kilometerlangen „Kreuzweg der Schöpfung“ zusammengeschlossen. Greenpeace Energy hat den Marsch, der vor den Risiken konventioneller Energieträger mahnte, mit unterstützt

Vom 4. Juli bis 1. August waren die Initiator:innen des „Kreuzwegs der Schöpfung“ unterwegs, um am Ende auf die nächste wichtige Etappe der Energiewende aufmerksam zu machen – den Kohleausstieg. Der Protestzug macht nach seinen 26 Etappen einen letzten Halt in dem sich mit erneuerbaren Energien selbst versorgenden Dorf Keyenberg, nicht weit vom Braunkohletagebau Garzweiler II. Der Kreuzweg wird so zum Mahnmal des Gedenkens für jene Menschen, die durch die anhaltende Klimazerstörung Heimat und Lebensgrundlage bereits verloren haben und noch verlieren werden.

Die Route des Kreuzwegs: Von Gorleben geht es nach Lüchow und Clenze, von dort weiter nach Bad Bodenteich. Die vierte Etappe und damit die zweitlängste von 34 Kilometern führte dann weiter nach Eschede. Es folgten: Celle, Burgdorf, Hannover, Springe, Hameln, Grohnde, Bad Pyrmont, Lemgo, Bielefeld, Gütersloh, Rheda-Wiedenbrück, Oelde, Beckum, Hamm, Lünen, Datteln, Herne, Essen, Ratingen, Düsseldorf, Glehn – und schließlich Keyenberg und Lützerath am Tagebau Garzweiler. Eine langer Marsch entlang von vielen Orten, die mit der Energiegewinnung aus Atom und Kohle in Verbindung stehen.

Für die Initiator:innen ist klar: Der religiöse Aspekt des Marsches, der schon 1988 im ersten Kreuzweg für die Schöpfung von Wackersdorf nach Gorleben deutlich wurde, bedeutet für sie keinerlei Ausgrenzung: „Bei uns sind alle Menschen willkommen, die sich für Klimagerechtigkeit – in anderer Formulierung: für die Bewahrung der Schöpfung und ein gutes Leben für alle in Fülle – einsetzen.“

Die Idee stammt aus den 80er Jahren

Entstanden ist die Idee zu diesem Kreuzweg durch die Videoveranstaltung „Das Wendland trifft das Rheinland“. Hier wurde von der Signalwirkung des Kreuzweges für die Schöpfung 1988 von der geplanten Wiederaufbereitungsanlage zum geplanten Atommülllager Gorleben berichtet. „Daraus entstand dann der Wunsch jetzt durch einen Kreuzweg von Gorleben nach Lützerath, uns alle wach zu rütteln, damit wir alle verstehen, dass die weitere Kohleverstromung uns alle bedroht“, sagt die stellvertretende Vorsitzende der BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, Elisabeth Hafner-Reckers

Start des Kreuzwegs Anfang Juli in Gorleben. Rechts im Bild: Elisabeth Hafner-Reckers. Alle Fotos: Kreuzweg Gorleben-Garzweiler

Rückblende: Am 4. Juli beginnt der Kreuzweg in Gorleben. Knapp 100 Wendländer:innnen und Rheinländer:innen treffen sich damals zur ersten Kundgebung an der Beluga, dem ausgemusterten Greenpeace-Schiff vor dem ehemaligen Erkundungsbergwerk für das Atommüllendlager.  Die Pilger:innen und das Kreuz wurden während des Gorlebener Gebetes gesegnet, dann begann die erste Etappe. Das Gorleben-Gebet ist eine Andacht, die sich aus dem Kreuzweg von Wackersdorf nach Gorleben entwickelt hat und bis heute jeden Sonntag fortgeführt wird – eine Stimme im Gesamtwiderstand und eine Stimme in der Klimabewegung.

Der Kreuzweg thematisiert die Risiken von Atom und Kohle für die Schöpfung, Natur und Mensch. Die PilgerInnen begannen oder beendeten jede Etappe mit einer Andacht, die von den Menschen vor Ort gehalten wurden. „Dieses Ritual des Innehaltens, des Sich-Besinnens auf die Botschaft dieses Weges hat die Zuversicht in diesen Weg täglich gestärkt“, sagt Mitorganisatorin Elisabeth Hafner-Reckers von der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg.

Atom- und Kohleausstieg gehören inhaltlich zusammen

„Der Kohleausstieg in Deutschland ist zu langsam und nutzt eher den Konzernen als dem Klimaschutz. Zugleich versuchen einzelne Interessengruppen, die Atomkraft wieder als Energie-Alternative ins Spiel zu bringen – obwohl diese mit ihren ökologischen Risiken, exorbitanten Kosten und jahrzehntelangen Realisierungszeiten gleich mehrfach als Instrument disqualifiziert“, meint Sönke Tangermann, Vorstand beim Ökoenergieanbieter Greenpeace Energy. Die Energiegenossenschaft gehört zu den Hauptunterstützern der Aktion. „Atom- und Kohleausstieg gehören inhaltlich zusammen: Beide müssen vom Netz und schnell durch Erneuerbare ersetzt werden. Der Kreuzweg bündelt Protest und Forderungen zu beiden Themen in nötiger und sinnvoller Weise, weshalb wir die Aktion gerne unterstützen.“

Ein normaler Tag des Kreuzwegs sah so aus: Aufstehen, gemeinsames Frühstück, den Übernachtungsplatz im Gemeindehaus aufräumen, eine Andacht mit Reisesegen wird gehalten, das Kreuz bei hoffentlich gutem Wetter durch eine schöne Landschaft tragen. Begleitet wird das Ganze von guten Zwiegesprächen unterwegs und inspirierenden Gruppengesprächen bei den gemeinsamen Pausen. Aber es gibt auch ganz besondere Etappen, wie beispielsweise beim Besuch des Landesbischofs in Hannover: „Wir haben ihn im Rahmen der dortigen Andacht die Unterstützung des Bischofs gebeten, dass das Grundstück, auf dem wir unser Kreuz aufstellen werden, nicht von der Kirche an RWE verkauft und zum Abbaggern freigegeben wird. Und er hat zugesagt, das zu tun“, heißt es von Seiten der Teilnehmer:innen des Kreuzwegs.

Andacht vor der Massenschlachterei Tönnies

Auch die 15. Etappe bei Rheda-Wiedenbrück hat es in sich: Der Kreuzweg begibt sich zur größten Schlachterei Europas – Tönnies. Recht schnell ist auch die Polizei da und macht klar: Der Parkplatz gehört dem Fleischkonzern und ist nicht zu betreten. Der Radweg hat freizubleiben. Die Autos auf der Straße dürfen nicht behindert oder irritiert werden. Die Andacht vor Ort wird gemeinsam mit dem Animal-Save-Movement, der IG WerkFAIRträge, dem Bündnis gegen eine Tönnies-Erweiterung, den Parents for Future Rheda-Wiedenbrück und anderen gestaltet.

Konflikte mit der Polizei

Während der Andacht vor dem Atomkraftwerk Grohnde beanstandete die Polizei, dass zwei Menschen mit dem Kreuzwegbanner sich auf der Zufahrtstrasse zum AKW befanden. Nachdem sich dann alle auf dem Grünstreifen befanden, konnte die Andacht fortgesetzt werden.

Der Kreuzweg zieht am AKW Grohnde vorbei.

Sehr viel konfrontativer verlief die Begegnung mit der Polizei auf der 18. Etappe nahe des Schlosses Oberwierries bei Hamm/Westfalen. Hier erklärten Polizeibeamt:innen den Pilger:innen, dass es sich auf Grund der mitgeführten Transparente gar nicht um einen Kreuzweg handeln könnte, sondern um eine politische Versammlung, die dann genehmigungspflichtig sei.

„Die Polizei hat uns unter Androhung von Pfeffersprayeinsatz das Weitergehen verboten.“, so Michael Friedrich aus dem Organisationsteam. Bei dem Polizeieinsatz wurde ein Rentnerehepaar von Christians for Future Aachen von der Polizei zu Boden gestoßen. Der Waldpädagoge Michael Zobel wurde in Handschellen abgeführt, auch Kreuzträger Jonas wurde festgenommen und auf das Polizeipräsidium Hamm gebracht. Nach Intervention mehrerer Pfarrer:innen beider großer Konfessionen durfte der Kreuzweg zwar weitergehen – aber mit der Auflage, ausschließlich explizit religiöse Fahnen und Transparente mitzuführen.

Auch Greenpeace Energy war auf dem Kreuzweg vertreten.

„Das ist für uns alle ein schlimmes Ereignis. Auf einmal liegt es im Ermessen von Polizeibeamten, welcher Bezug zu Aussagen christlicher Hilfswerke – etwa das gemeinsame Hungertuch der christlichen Hilfswerke von Misereor und Brot für die Welt – und einem Zitat von Papst Franziskus auf diesem Kreuzweg gezeigt werden dürfen“, so Elisabeth Hafner-Reckers. „Diesem Kreuzweg so den Schutz der grundgesetzlich garantierten Ausübung der Religionsausführung abzusprechen, ist aufwühlend“, meint sie.

Kreuzwege stehen unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes, da es sich um Symbole der freien Religionsausübung handelt. Achtsam mit der Schöpfung umzugehen, ist ein Anliegen, dass sich durch die ganze Heilige Schrift zieht. „Die Aufforderung zu einem teilenden Lebensstil ist fest in der Bibel verankert. Der Namensgeber der Religion führte selbst ein Leben als Wanderprediger und ist somit ein Vorbild für einen Kreuzweg“, so Hafner-Reckers.

Diese Polizeiaktion führte zum Protest des Präses der evangelischen Kirche im Rheinland. Mit Erfolg: NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) garantierte in der Folge den weiteren ungestörten Verlauf des Kreuzweges durch das Bundesland. „Die Zwischenfälle mit der Polizei haben uns zwar erschüttert, aber wir lassen uns keine Steine in den Weg legen, wenn es um eine lebenswerte Zukunft geht. Letztendlich hat uns das als Gruppe in unserer Motivation und unserem friedlichen Protest bestärkt.“, sagt Jonas, der Kreuzträger der Aktion.

Menschen auf einzigartige Weise zusammengeführt

Das Kreuzweg-Bündnis hat es sich zum Anliegen gemacht, „den Protest gegen klimazerstörende und menschenfeindliche Energieproduktion in die Fläche zu tragen, sich dabei in die Tradition früherer Bewegungen zu stellen und so auf Zusammenhang und Kontinuität der verschiedenen Kämpfe ebenso aufmerksam zu machen wie auf die Solidarität der – ganz unterschiedlichen – Akteur:innen.“

Ankunft der Pilger:innen in Keyenberg. Fotos (2): Andreas Fechner / Greenpeace Energy eG

Die stellvertretende Vorsitzende der BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, Elisabeth Hafner-Reckers richtet sich mit den Worten an Bischof Dieser in Aachen: „Wir haben mittlerweile so viel Erfahrung, was wir alles mit den Themen Energieeinsparung, der Nutzung der Elemente, Wasser, Wind und Sonne erreichen können. Das ist in unserer Situation der Weg, den wir alle gemeinsam gehen können. Die Entwicklung der anderen Energiegewinnung ist untrennbar mit dem Kampf gegen die Atomkraft verbunden. Gorleben war der Kristallisationspunkt und es ist von daher wenig verwunderlich, dass gerade hier sich viel im Punkte Umorientierung getan hat.“

Die Initiator:innen sind davon überzeugt, dass sie auf dem Weg durch die einzelnen Etappen Menschen auf eine Art und Weise zusammengeführt haben, wie es sonst nicht möglich gewesen wäre. „Die Basis, auf der man ins Gespräch kommt, sei eine ganz besondere“, sagt Kreuzträger Jonas. „Zu Beginn glaubt man oft nicht, dass man in die gleiche Richtung denken könnte, gerade wenn es um die politische Ausrichtung von Gemeinden geht. Und dann beginnt man zu diskutieren und entdeckt so auf neuen Wegen, was auf lokaler Ebene konkret für Maßnahmen in Richtung Klimaschutz geschaffen werden kann.“

Weitere Infos und Bilder zu den einzelnen Etappen des Kreuzwegs Gorleben-Garzweiler finden Sie hier.