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EnergiewendeAnti-AtomkraftKein Nachhaltigkeits-Schwindel mit Atom und Gas!

Kein Nachhaltigkeits-Schwindel mit Atom und Gas!

Atom- und Gaskraftwerke als „nachhaltige“ Technologien? Das hat die EU-Kommission in ihrem Rechtsakt zur Taxonomie jetzt festgelegt. Doch der Streit um die Aufnahme beider Technologien in den offiziellen Katalog ökologisch sinnvoller Investments – dürfte die energiepolitische Debatte noch über Monate prägen: EU-Parlamentarier:innen und einige Mitgliedsstaaten haben bereits ihren Widerstand angekündigt – bis hin zur Klage. Der politische Widerstand ist richtig und wichtig, denn hier droht ein echter Rückschritt für die Energiewende – warnt Marcel Keiffenheim, Leiter Politik und Kommunikation bei Green Planet Energy.

Es mutet an wie ein böser Scherz, Atomkraft als nachhaltige Investition deklarieren zu wollen: Atomkraftwerke produzieren radioaktiven Müll, der über Jahrtausende weiter gefährlich bleibt und für den es keine sicheren Entsorgungskonzepte gibt. Zugleich drohen bei den teils überalterten Atomreaktoren Störfälle. Und auch die angebliche Versorgungssicherheit ist nicht immer gewährleistet, wie man aktuell angesichts zahlreiche Notabschaltungen etwa in Frankreich sieht. Und schließlich: Neue AKWs sind Milliardengräber, die nur mit massiven staatlichen Investitionen überhaupt gebaut werden können – und dann regelmäßig Zeit- und Kostenpläne sprengen. Zur Bekämpfung der Klimakrise taugt dieser Technologie-Dinosaurier nicht. Sondern schadet stattdessen, weil jeder in Atomkraft investierte Euro nicht in erneuerbare Energien gesteckt wird – und unflexible AKWs die Netze für Wind- und Sonnenstrom verstopfen.

EU wirft Erneuerbare und Konventionelle in einen Topf

Dennoch will die EU-Kommission Atomkraft als nachhaltig deklarieren. Dahinter steht der politische Druck aus Frankreich und einigen anderen europäischen Staaten, die ihre heimische nukleare Industrie stärken wollen: Taxonomie als letzter Rettungsanker einer von Finanzierungssorgen geprägten Atomlobby!

Portraitfoto von Marcel Keiffenheim
Es kommentiert Marcel Keiffenheim, Leiter Politik und Kommunikation bei Green Planet Energy. Foto: Christine Lutz / Green Planet Energy eG

Der politische Irrsinn hat leider – auf europäischer Ebene – Methode: Der grundfalsche Ansatz, der in der Taxonomie steckt, findet sich zum Beispiel auch im Entwurf der EU-Beihilfeleitlinien wieder und zieht sich wie ein roter Faden durch die Gesetzgebung in der Union: Konventionelle und erneuerbare Energien werden dabei systematisch in einen Topf möglicher Öko-Instrumente geworfen. In den aktuellen Beihilfeleitlinien, die Vorgaben zu staatlicherseits förderwürdigen Technologien machen, gibt es etwa kein eigenes Kapitel zu Erneuerbaren – sondern nur die Sammelkategorie „Minderung von Treibhausgas-Emissionen“, in der fundamental unterschiedliche Technologien nicht voneinander abgegrenzt werden. Das Bestreben, in der Taxonomie nun auch Atom und Gas als nachhaltig zu deklarieren, passt somit leider ins Bild, das die EU-Kommission derzeit abgibt.

Das Problem ist dabei nicht nur, dass durch die Taxonomie Geldströme stärker in Richtung Atom und Gas gelenkt werden, sondern dass die Grundhaltung der EU hier nicht zielführend ist. Es drohen durch neue, konventionelle Großkraftwerke langfristige Lock-In-Effekte – also technologische Festlegungen mit schädlichen Auswirkungen auf das Gesamtenergiesystem, während zugleich Kapazitäten von wirklich klimaschützenden Technologien abgezogen werden.

Der Atomindustrie geht es vor allem um staatliche Fördertöpfe

Grafik Münzen auf Erde, aus denen Keimlinge wachsen. Im Hintergrund sind Atomkraftwerke zu sehen.
Milliarden-Investitionen sollen durch ein grünes Taxonomie-Label in Richtung Atomkraft gelenkt werden. Foto: AdobeStock

Nebenbei: Es ist gar nicht ausgemacht, dass dank des durch die Taxonomie ermöglichten „Nachhaltigkeits“-Labels die erhofften immensen Summen privaten Kapitals tatsächlich für den Bau neuer AKWs und ähnlicher Projekte eingesammelt werden. Schon jetzt sind Investoren bei Atomprojekten angesichts der Risiken extrem zurückhaltend; ob sich daran wirklich etwas ändert, bleibt abzuwarten, vor allem dann, wenn Banken oder Investmentfonds gegenüber Privatanleger:innen wirklich offenlegen müssen, dass Atom-Investments in ihren Anlageprodukten enthalten sind. Die seit Monaten anhaltende Debatte dazu hat aus unserer Sicht ein entsprechendes Nachhaltigkeitslabel für Atom schon jetzt diskreditiert und viele Anleger:innen für das heikle Thema sensibilisiert.

Dass Atomkraft keine ökologische Form der Energieerzeugung ist, kritisiert die deutsche Bundesregierung zu Recht. Zugleich lässt Berlin die Aufnahme von Gaskraftwerken in die EU-Taxonomie zu und untergräbt so die eigene ökologische Glaubwürdigkeit. Fossile Energieträger – zu denen Erdgas zweifelsfrei gehört – sind per se nicht nachhaltig und dürfen somit auch nicht in die Taxonomie aufgenommen werden. Allerdings ist beim Gas die Gemengelage etwas komplizierter, auch weil es ganz unterschiedlicher Arten gasförmiger Brennstoffe für diese Kraftwerke gibt.

Gaskraftwerke: Das Problem sind windelweiche Klimaschutz-Vorgaben

Zwar spielen flexible Gaskraftwerke in den kommenden Jahren eine Rolle, um nach dem Abschalten von Atom- und Kohlekraftwerken ein Backup-System zu Wind- und Solarenergie zu schaffen. Aber: Diese Meiler dürfen perspektivisch nur noch mit erneuerbaren Gasen wie dem mithilfe von überschüssigem Ökostrom erzeugtem grünem Wasserstoff befeuert werden – und nicht mehr mit Erdgas. Denn dieser fossile Brennstoff ist klimaschädlich und darf über die Taxonomie entsprechend auch kein Nachhaltigkeits-Label erhalten. Schon gar nicht, wenn der neue grüne Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck, anstrebt, unser Stromsystem bis 2035 erneuerbar zu machen.

Wasserstoff-Rohr mit der Aufschrift H2
Ready for H2? Dazu findet sich in den Taxonomie-Vorgaben aus Brüssel bislang nichts. Foto: Shutterstock

Die jetzt von der EU-Kommission präsentierten Taxonomie-Vorgaben für Gas sind aber so windelweich geraten, dass man damit nahezu jedes neue Gaskraftwerke „grünwaschen“ könnte. Oft können Kraftwerksbetreiber gar keine genauen Vorhersagen zum zukünftigen CO2-Ausstoß machen. Außerdem ist die Frage noch immer nicht im Detail ausgearbeitet, wie genau die Einhaltung der Grenzwerte über den gesamten Lebenszyklus überprüft oder Verstöße geahndet werden sollen. Außerdem findet sich kein Wort in der Taxonomie-Verordnung, wonach neue Meiler „H2-Ready“ sein müssen, also in der Lage, künftig grünen Wasserstoff zu verfeuern. Ebenso ungeklärt ist, welche Art von „erneuerbaren“ Gasen dort künftig als Brennstoff genutzt werden sollen. Die von der Kommission vorgeschlagenen CO2-Grenzwerte sind außerdem viel höher als vom eingebundenen Expert:innenrat für nachhaltige Investments anfangs gefordert.

Europagebäude in Brüssel
Die von der EU-Kommission gemachten Vorgaben für neue Gaskraftwerke waren aus Klimaschutzsicht windelweich. Foto: Shutterstock

Diese Grenzwerte beziehen sich insbesondere auf die Ausnahmeregelung, auf deren Basis die Emissionen über die Lebensdauer eines Kraftwerks berechnet werden. Danach sollen Gaskraftwerke in den ersten Jahren theoretisch noch im normalen Betrieb mit fossilem Gas laufen können. Erst spät sollen die Kraftwerke auf nachhaltigere Brennstoffe umstellen müssen. Dies hat aber zur Folge, dass diese potenziell nicht nur als Übergangslösung betrieben werden, oder als Back-Up-Option für Ökoenergieanlagen, sondern dass sie Erneuerbare und andere Flexibilisierungsoptionen sogar ausbremsen und dem Klimaschutz schaden können.

Auch der Pfad einer vollständigen Umstellung auf „Low-Carbon“-Gas ab 2036 ist nicht eindeutig beschrieben. Zwar muss ab diesem Datum eine hundertprozentige Umstellung erfolgen. Das basiert dann aber nicht zwingend auf erneuerbaren Gasen wie grünem Wasserstoff, sondern ist eben auch mit konventionell produziertem, aber etwas weniger kohlenstoffhaltigem Gas möglich. Das heißt: Auch nach 2036 können diese Kraftwerke weiterhin mit so genanntem „blauen“, aus Erdgas produziertem Wasserstoff betrieben werden, wobei die CO2-Emissionen abgefangen und unterirdisch eingelagert werden sollen – eine Technologie, deren Sicherheit im großen Maßstab nicht erwiesen ist. Zudem berücksichtigt die Taxonomie beim „blauen“ Wasserstoff die hohen Methan-Emissionen sowie die Energieverbräuche aus der „Vorkette“ nicht, die schon bei der Förderung, Verarbeitung und dem Transport von Erdgas entstehen. Auch dies steht im Widerspruch zum Plan, den Stromsektor bis 2035 vollständig dekarbonisieren zu wollen.

Alternative Finanzierungen für Erneuerbare statt teurer Investitionsruinen

Steinkohlekraftwerk am Abend beleuchtet
Mahnendes Beispiel: Das inzwischen stillgelegte Steinkohlekraftwerk Moorburg in Hamburg. Foto: Shutterstock

Der nicht besonders effizient organisierte deutsche Kohleausstieg mahnt, dass wir eben nicht – auf Druck von Lobby-Interessen – in angebliche Brückentechnologien und -kraftwerke investieren dürfen, die dann in ein paar Jahren zu Milliardengräbern werden und deren Abschaltung vom Steuerzahler geschultert werden muss – wie etwa jüngst beim stillgelegten Steinkohlekraftwerk Moorburg. Außerdem sollte jedem klar sein: Mit dem Bau neuer Gaskraftwerke bleiben wir in Europa abhängig von Erdgasimporten, etwa aus Russland. Dabei rufen die aktuellen politisch Entwicklungen wie die Ukraine-Krise oder die Preisrallye am internationalen Energiemarkt geradezu danach, sich aus solchen Abhängigkeiten zu befreien.

Fazit: Wenn wir als Gesellschaft zu der Erkenntnis kommen, dass – perspektivisch erneuerbare – Gaskraftwerke für die Versorgungssicherheit benötigt werden, dann lassen sich diese auch außerhalb der Taxonomie finanzieren. Denkbar wäre etwa ein Mechanismus, der analog zum Kohleersatzbonus eine staatliche Förderung vorsieht oder dass eine gesicherte Kraftwerksleistung über Netzentgelte oder andere Quellen vergütet wird. Wenn die Politik hier die Weichen stellt und Finanzmittel gezielt in den Aufbau einer wirklich modernen, erneuerbar nutzbaren Kraftwerksflotte fließen lässt, könnten Klimaschutz und eine sichere Energieversorgung effektiver gelingen als mit einer aufgeweichten Taxonomie. Wichtig ist: Solange Erdgas als Brennstoff mit im Spiel ist, darf es für solche Investitionen KEIN Nachhaltigkeitslabel geben – das nämlich muss zweifelsfrei für Technologien reserviert sein, die wirklich sauber sind.

Weiterlesen: Ein ausführliches Interview mit der Europa-Abgeordneten Jutta Paulus zur Taxonomie-Debatte und zur Rolle der Atomkraft finden Sie hier im Blog.

Marcel Keiffenheim
Marcel Keiffenheim
Leitet bei Green Planet Energy den Bereich Politik und Kommunikation. Hat 20 Jahre lang als Journalist gearbeitet, unter anderem für Frankfurter Rundschau und Greenpeace Magazin, bevor es ihn in die Energiepolitik zog.