blog
Klima schützenKundenporträtsEine neue Wirtschaft ist möglich: Interview zur Gemeinwohl-Ökonomie

Eine neue Wirtschaft ist möglich: Interview zur Gemeinwohl-Ökonomie

Die Klimakrise, weniger Artenvielfalt und eine wachsende Kluft zwischen Armut und Reichtum: Der Preis, den wir als Gesellschaft für unsere profitorientierte Wirtschaft zahlen, ist hoch. Doch es geht auch anders. Das Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie verfolgt eine gerechte, ökologische Wirtschaft, die nach mehr als Gewinnen und Wachstum strebt.

Entstanden ist die Bewegung Anfang der 2010er-Jahre in Österreich. Hier veröffentlichte Christian Felber, Gründer von Attac Österreich, sein Buch „Gemeinwohl-Ökonomie“. Ein Jahr später entstand der „Verein zur Förderung der Gemeinwohl-Ökonomie“ in Wien. Heute ist diese andere Form des Wirtschaftens weltweit bekannt: So gibt es etwa 11.000 Unterstützer:innen, rund 4.500 Mitglieder und mehr als 1.000 Unternehmen mit Gemeinwohl-Bilanz. Diese ist das Herzstück des alternativen Wirtschaftsmodells. Statt nur betriebswirtschaftliche Indikatoren zu betrachten, werden Unternehmen dabei anhand von vier Kategorien bewertet: Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, Transparenz und Mitentscheidung.

Und wie sieht Gemeinwohl-Ökonomie in der Praxis aus?
Wir haben mit Andrea Nagel, Gründerin unseres
Ökostromkunden Tofu Nagel in Ellerbek
bei Hamburg
Logo von Tofu Nagel gesprochen. Das Unternehmen arbeitet von Beginn an, also seit fast 40 Jahren, nach den Werten des Gemeinwohls und wurde nach einer zweijährigen Prüfphase im Jahr 2021 offiziell dafür zertifiziert.

Andrea, was war eure Motivation, Tofu Nagel gemäß der Gemeinwohl-Ökonomie zertifizieren zu lassen?
Die Gemeinwohl-Ökonomie ist eine starke Bewegung! Viele Menschen arbeiten an derselben Sache, haben dieselben Vorstellungen und Visionen von unserer Zukunft und wollen gemeinsam das Wirtschaften anders gestalten. Es geht darum, wieder eine Gemeinschaft zu werden, die unseren Planeten gut behandelt. Davon wollen wir ein Teil sein.

Wie lief der Prozess der Zertifizierung ab?
Wir haben die Zertifizierung in einer Gruppe von vier Unternehmen gemacht. Zunächst gab es jede Menge Unterlagen, durch die wir uns gemeinsam gearbeitet haben, um die einzelnen Punkte wirklich zu verstehen. Der Austausch war sehr bereichernd und motivierend. Wir konnten uns mit allen Fragen aber auch immer an unsere zwei Betreuer wenden. Kurz gesagt: Es war viel Arbeit – hat aber auch sehr viel Spaß gemacht und sich auf jeden Fall gelohnt.

Was habt ihr im Laufe des Prozesses über euch als Unternehmen gelernt?
Dass wir vieles schon gut machen und gleichzeitig noch einiges dazulernen können. Durch die Zertifizierung sind wir sehr tief in die Details des Geschäfts eingestiegen, haben Zusammenhänge deutlicher gesehen und wissen jetzt, was wir tun können, um noch nachhaltiger zu arbeiten. Das war großartig – besonders mit den anderen Unternehmen zusammen.

Was sind aus deiner Sicht die größten Vorteile der Gemeinwohl-Ökonomie?
Ganz klar die Kraft der Gemeinschaft – die Kraft, die entsteht, wenn viele zusammen an einer Sache arbeiten. Und natürlich, dass es nicht in erster Linie um Profit geht, sondern um das Gemeinwohl. Dieser Gedanke ist nichts Neues, er ist uns vor lauter „Höher, schneller, weiter“ aber verloren gegangen. Und im Grunde wissen alle, dass es so nicht weitergehen kann. Viele Menschen fangen darum an, wirklich etwas an ihrem Denken und Tun zu verändern: mit Wohlwollen, Liebe und Vertrauen. Dabei hilft die Gemeinwohl-Ökonomie enorm.

Siehst du auch Nachteile oder hast Kritik?
Ich habe keine Kritik, ganz im Gegenteil! Viel Respekt und Hochachtung für all die Menschen, die ihre Energie in die Gemeinwohl-Ökonomie geben. Als einzigen Nachteil empfinde ich, dass die Veränderung unseres Wirtschaftssystems zu lange braucht.

Welchen Ratschlag würdest du Unternehmen geben, die sich für eine Zertifizierung interessieren?
Kontaktiert eine Regionalgruppe in eurer Nähe und besucht ein Netzwerktreffen. Dort kommen Unternehmen zusammen, die schon zertifiziert sind oder darüber nachdenken. Es gibt viel Austausch, ihr könnt Fragen stellen und von den Erfahrungen anderer profitieren.

Beke Gröhn
Beke Gröhn
studierte im Master Nachhaltigkeitswissenschaft. Seit 2021 führt sie ihren interdisziplinären Ansatz an Nachhaltigkeit bei Green Planet Energy fort. Als Kooperationsmanagerin arbeitet sie dafür gemeinsam mit anderen Akteur:innen im Markt an der Energiewende und verwandten Themen.