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EnergiewendeKohleausstiegRheinisches Braunkohlerevier: Ein Dorf wehrt sich – und versorgt sich selbst

Rheinisches Braunkohlerevier: Ein Dorf wehrt sich – und versorgt sich selbst

Die Ortschaft Keyenberg direkt am Tagebau Garzweiler soll in einigen Jahren verschwinden und der Kohle weichen. Die Bewohnerinnen und Bewohner leisten nicht nur Widerstand – sie engagieren sich auch, mit Unterstützung der Ökoenergiegenossenschaft Greenpeace Energy, für Solaranlagen auf ihren Dächern.

Der Braunkohletagebau rückt immer näher an das Dorf heran.

Die erste Kirche soll es in dem kleinen Örtchen Keyenberg bereits im Jahr 714 oder 716 gegeben haben. Ganz eindeutig lässt sich das nicht bestimmen. Heute jedenfalls steht die Heilig-Kreuz-Kirche mitten im Dorf – und damit mitten im Widerstand. Die einstige Saalkriche wurde nach einigen Erneuerungen im Jahr 1866 zu einer Kirche im neugotischen Stil umgebaut. Rund um ihren hohen Turm spielt sich in Keyenberg das Dorfleben ab. Im Jahr 2019 fiel die Heilig-Kreuz-Kirche dann dem RWE-Konzern in die Hände: der Tagebau Garzweiler 2, den der Konzern betreibt, endet direkt vor dem Ort – und macht vor einer jahrtausendealten Kirche genauso wenig Halt wie vor den Menschen, die hier ihre Heimat haben. „Die Grube reicht bis 500 Meter vor mein Haus“, sagt Sabine Caspers, die seit 1994 hier wohnt. „Hier merkt man richtig, welchen Wert der Mensch für einen Konzern wie RWE hat – für die sind wir nur eine Nummer.“

Im März dieses Jahres kam die Leitentscheidung: Keyenberg soll 2026 – zwei Jahre später als einst geplant – verschwinden. RWE will das Dorf komplett plattmachen und die Kohle darunter abbaggern. Der Widerstand ist groß. Längst ist die Klimakrise in Nordrhein-Westfalen sichtbar: Die Flut im Juli forderte zahlreiche Menschenleben und zerstörte ganze Ortschaften. Vor diesem Hintergrund ist es erst recht unvorstellbar, dass ein Dorf wie Keyenberg tatsächlich noch weggebaggert werden soll, um die darunterliegende klimaschädliche Kohle abbauen zu können.

Barbara Ziemann-Oberherr mit Teilnehmer:innen des Kreuzwegs gegen die Kohle, der Anfang August in Keyenberg endete – und vor ihrem Wohnhaus mit PV-Anlage (großes Bild oben) . Alle Fotos: Andreas Fechner / Greenpeace Energy eG

„Die Auswirkungen sind gravierend – und die Notwendigkeit ist einfach nicht mehr gegeben. 27.000 deutschsprachige Wissenschaftler:innen sagen: ‚Es ist Zeit, aus der Kohle auszusteigen‘, betont Barbara Ziemann-Oberherr. „Die Energiewende ist nicht länger eine Frage der technologischen Umsetzbarkeit, sondern eine Frage des politischen Willens.“ Das Thema liegt ihr sehr am Herzen. Seit über 40 Jahren wohnt sie mit ihrer Familie in Keyenberg, im elterlichen Haus ihres Mannes. Ihr Engagement brachte sie 2019 unter anderem mit einer Rede auf der Klimakonferenz in Madrid ein.

Zeichen des Protests gegen die Braunkohle finden sich überall in Keyenberg.

Ein Großteil der Einwohnerinnen und Einwohnern ist einem Aufruf von RWE bereits gefolgt und hat Keyenberg verlassen. 26 Familien mit insgesamt 60 Personen bleiben. Damit leisten sie nicht nur Widerstand, sondern verfolgen auch ein klares Ziel: Anstatt ihre Häuser zu verkaufen, werten sie sie auf, indem sie in erneuerbare Energien investieren: Insgesamt fünf Photovoltaikanlagen, gefördert mit dem Solarstrom plus-Tarif des Ökoenergieanbieters Greenpeace Energy, werden schon jetzt auf Keyenbergs Dächern dafür entstehen. Zwei davon sind bereits fertig, weitere sollen folgen.

Auch auf diesem Hof in Keyenberg sollen demnächst Solaranlagen entstehen. Der entsprechende Kooperationsvertrag wurde jetzt unterzeichnet.

Zusammen produzieren die schon jetzt von der Energiegenossenschaft geförderten Module künftig rund 75.000 Kilowattstunden Strom – das deckt rechnerisch mehr als den Eigenbedarf des Dorfes. Die Vision ist klar: Keyenberg soll nicht nur bleiben, sondern auch autark sein, unabhängig von Riesen wie RWE. „Es ist einfach nicht mehr nötig, dass Kohle abgebaut wird, um damit Energie zu gewinnen“, sagt Ziemann-Oberherr, auf deren Haus eine der Anlagen sauberen Sonnenstrom produziert. „Dass eine Umsiedlung so ungerecht ist und dafür die eigene Heimat geopfert werden soll, das treibt mich an, in den Widerstand zu gehen. Ich sehe uns als die Anwälte unserer Kinder: Wir zahlen einen hohen Preis, wenn wir nichts tun. Diese Verantwortung sind wir der nächsten Generation schuldig.“

Auf dem Dach von Sabine Caspers wird im Herbst eine weitere Anlage installiert. „Meine Vision ist, dass dieser Ort autark wird – und wir sind auf einem guten Weg. Ich wünsche mir, dass die Menschen eigenständig werden und die Verantwortung für die Sache selbst in die Hand nehmen.“ Die Entwidmung der Heilig-Kreuz-Kirche hätte bereits vor einigen Monaten stattfinden sollen – wurde jedoch gestoppt. Der Glaube ist groß, dass bis 2026 noch einiges passieren wird. Sabine Caspers ist sich jedenfalls sicher: „Ich bin überzeugt, dass diese Dörfer bleiben.“

Text: Mirja Schneemann