Ist Windgas notwendig, wenn wir uns eines Tages tatsächlich zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien versorgen wollen? Dieser Frage geht momentan Prof. Michael Sterner im Auftrag von Greenpeace Energy nach. Die Ergebnisse seiner Untersuchungen wird Greenpeace Energy in Kürze veröffentlichen, in der energy.aktuell spricht Michael Sterner über erste Erkenntnisse seiner Untersuchungen.

Frage: Prof. Sterner, die Leitfrage Ihrer Untersuchung ist ja: Brauchen wir Windgas, um die Energiewende zu vollenden. Lässt sich dazu etwas schon sagen?

Sterner: Ja, definitiv. In Deutschland ist Windgas die einzige Technologie, die das Problem der Speicherung von Wind- und Sonnenstrom über längere Zeiträume lösen kann, und zwar am kostengünstigsten. Wenn wir den Klimaschutz ernst nehmen, brauchen wir Windgas darüber hinaus auch für eine erneuerbare Rohstoffbasis für den Verkehrs- und den Chemiesektor. Beide sind extrem abhängig von Erdöl und Erdgas und die Potentiale der Alternativen wie Biomasse sind technisch und ökologisch eingeschränkt und nicht ausreichend.

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Foto: Enver Hirsch

Zur Person: Prof. Dr. Michael Sterner gilt als einer der Vordenker der Windgas-Technologie. Der 38jährige ist Professor für Energiespeicher an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg und außerdem einer der Leiter der Forschungsstelle für Energienetze und Energiespeicher (FENES). Im Auftrag von Greenpeace Energy erforscht Sterner derzeit im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie die energiewirtschaftliche Notwendigkeit von Windgas für die Energiewende.

Frage: Momentan liegt der Anteil der erneuerbaren Energien bei rund 25 Prozent an der Stromversorgung. Heißt das, wir können uns mit Windgas noch etwas Zeit lassen und anderen Aufgaben zuwenden?

Sterner: Auf keinen Fall. Wenn wir jetzt erkennen, dass wir eine Technologie später brauchen, wäre es töricht zu sagen: Wir fangen damit in 40 Jahren an. Im Gegenteil: Wir brauchen wieder Energiepolitiker eines Kalibers von Hermann Scheer, die eine langfristige Vision haben und für diese auch gegen alle Widerstände eintreten. Sonst gäbe es heute keine kostengünstige Photovoltaik und keinen günstigen Windstrom, wenn wir uns in den 80ern und 90ern aus Kostengründen „Zeit gelassen“ hätten. Was wäre die Alternative? Vertrauen auf Erdgas aus dem Ausland? Fracking? Das ist auch nur ein sehr schnell vergängliches Lauffeuer.

Frage: Kritiker befürchten ja, Windgas könnte eine teure Nischenoption werden. Wie steht es um die Kosten?

Sterner: Wie bei den Anfängen der Photovoltaik: heute noch sehr hoch. Fast alles ist Manufaktur, jede Anlage ein Einzelwerk. Es gibt beträchtlich Luft nach unten, aber diese geht erst raus, wenn sich Investoren entscheiden, größere Stückzahlen herzustellen. Dafür brauchen sie verlässliche Rahmenbedingungen und eine Chance auf dem Markt.

Frage: Ein Hauptargument für Windgas ist, dass es uns das Gasnetz als Speicher für erneuerbare Energien erschließt? Wie groß ist dieser Speicher eigentlich?

Gastank und Rohrleitung // pipeline industrial area
Das Erdgasnetz bietet gewaltige Kapazitäten. Auch ökologosch produziertes Windgas könnte darin transportiert und gespeichert werden. Foto: Industrieblick/fotolia

Sterner: Die in Deutschland vorhandenen Gasspeicher unter Tage sind riesig. Auf rund 1000 bis 1500 Meter Tiefe erstrecken sich Kavernen und Porenspeicher über mehrere Hundert Meter und sind zwischen 150 und 300 Meter breit. In diesen riesigen unterirdischen Hohlräumen kann soviel Windgas gespeichert werden, wie notwendig wäre, um Deutschlands Stromversorgung über drei Monate aufrecht zu herhalten – rein aus eigenem Gas.

Frage: In welchen Bereichen lässt sich Windgas darüber hinaus sinnvoll einsetzen, welche Anwendungsmöglichkeiten gibt es?

Sterner: In der Wärmeversorgung erreichen wir ökologisch motivierte Kunden, die zur Miete wohnen und bis auf Biogas keine andere Wahl haben. Ich bin einer davon: Wir haben eine klassische Etagengasheizung – und Windgas gibt mir die Chance auf eine grüne Wärmeversorgung, ohne einen Pelletkeller oder einen Fernwärmeanschluss zu haben. Darüber hinaus ist es vor allem in der Mobilität als Stromkraftstoff ein elementarer Bestandteil: Wir werden nicht alles mit Elektromobilen bewältigen: lange Strecken, Schiffe, Flugzeuge. Dafür reichen auch im Idealfall nicht die nachhaltigen Biokraftstoffe aus. Wie beim Strom gilt auch hier: Die Energiewende im Verkehr kann nur mit Windgas gelingen.

Frage: Welchen Effekt hat eigentlich ein Gastarif wie proWindgas von Greenpeace Energy auf die Weiterentwicklung der Windgas-Technologie?

Sterner: Der Tarif wirkt auf verschiedenen Ebenen: Erstens ermöglicht er Greenpeace Energy, diese neue Technologie als wichtigen Baustein der Energiewende ganz praktisch voranzubringen. Zweitens schafft er Bewusstsein bei vielen Kunden und Menschen, dass es diese technologische Lösung gibt und drittens schiebt er Windgas aus der Nische heraus, in dem er andere große Konzerne in der Branche anstößt, in diese Technik zu gehen. Es war 2011 phänomenal, wie die Gasbranche auf den Vorstoß von Greenpeace Energy reagiert hat. Das Signal war: „Greenpeace Energy gewinnt neue Gaskunden mit einem neuen grünen Produkt – in Zeiten, wo die meisten Kunden verloren haben. Das ist eine Chance für uns, daher schauen wir uns die Technik an und investieren.“ Das bringt diese Zukunftstechnologie voran und so soll es sein. Wichtig wäre, dass die Politik ebenfalls mitzieht, damit es nicht am Ende wieder heißt: „Invented and designed in Germany, Made somewhere else“.

Die Elektrolyse-Anlage von Enertrag in Brandenburg. Foto: Tom Baerwald / Enertrag

INFO Windgas entsteht durch die Umwandlung von Ökostrom in Wasserstoff. Der Wasserstoff kann dann ins Gasnetz eingespeist werden und vermischt sich dort mit dem vorhandenen Erdgas. Bei Greenpeace Energy gibt es den Gastarif proWindgas, der die Windgas-Technologie fördert. Kundinnen und Kunden erhalten zunächst 100 Prozent Erdgas und zahlen einen kleinen Förderbetrag, mit dem Greenpeace Energy die Entwicklung von Windgas voranbringt. Aktuell wird für die Gaskunden von Greenpeace Energy die Windgasanlage der Firma Enertrag ans Gasnetz angeschlossen, die Einspeisung von grünem Wasserstoff soll im November beginnen. Erstmals wird dann ein Teil des Erdgases durch Windgas ersetzt. Weitere Informationen gibt es unter www.greenpeace-energy.de/windgas