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EnergiewendeEnergiepolitikEin Grundeinkommen gibt Menschen ihre Würde zurück

Ein Grundeinkommen gibt Menschen ihre Würde zurück

Eine Fabriketage auf einem ehemaligen Brauereikomplex in Berlin-Neukölln: Scheinwerfer und Kameras richten sich auf eine kleine Bühne, die von einem hölzernen Glücksrad und einer Lostrommel aus Metall dominiert werden. Hier beginnt gleich die Live-Übertragung der Verlosung von „Mein Grundeinkommen“ – alleine neunzehn Grundeinkommen sind es im Januar, eines davon das erste „Ökostrom Grundeinkommen“.

Ein Jahr lang 1.000 Euro monatlich – und zwar ohne Bedingungen. Das ist das bedingungslose Grundeinkommen. Rund 500 Menschen wurden dafür seit 2014 ausgelost. Finanziert wurden die Grundeinkommen von gut 170.000 Menschen, den sogenannten Crowdhörnchen.

Michael Bohmeyer, Gründer von Mein Grundeinkommen und Bestseller-Autor.
Michael Bohmeyer, Gründer von Mein Grundeinkommen und Bestseller-Autor (Foto: Christoph Rasch / Greenpeace Energy)

Weiter hinten im Großraumbüro sitzt der Mann, der das Ganze ins Leben gerufen hat: Michael Bohmeyer. Er erklärt im Interview, wie Geld ohne Gegenleistung die betroffenen Menschen und unsere Gesellschaft verändern kann.

Greenpeace Energy: Michael, seit fast sechs Jahren verteilt Ihr nun schon bedingungslose Grundeinkommen. Wie hat das Projekt Deinen persönlichen Blick auf Geld verändert?

Michael Bohmeyer: Geld und Arbeit haben sich für mich komplett entkoppelt. Ich arbeite, weil ich Lust darauf habe und etwas für mich erreichen will – aber nicht, weil es Geld dafür gibt.

Greenpeace Energy: Für die meisten Menschen klingt das nicht gerade nach dem, was sie im Alltag von Arbeit und Arbeitslosigkeit erleben.

Michael Bohmeyer: Unser Arbeitsmarkt und vor allem unser Sozialsystem – eines der teuersten weltweit – sind einfach unklug organisiert. Weil es so negativ aufgeladen ist: Wer nicht arbeitet, bekommt zwar staatliche Unterstützung. Doch Hartz IV ist Zwang. Es macht die Leute, die es beziehen, wütend und schürt bei allen anderen die Angst, selbst einmal in dieses System hinein zu geraten, das auf Überwachung und Bestrafung basiert. Wenn wir aber die Sanktionen weglassen und die finanziellen Leistungen bedingungslos machen würden, wäre die psychologische Wirkung pro Euro sehr viel besser.

Greenpeace Energy: Kritiker eines solchen Ansatzes werfen ein: Wer ein Grundeinkommen bezieht, ohne was dafür tun zu müssen, dem fehlt der Impuls, sich zu engagieren. Bewahrheitet sich das auch bei den Leuten, denen Ihr Grundeinkommen schenkt?

Michael Bohmeyer: Nein. Niemand hört auf zu arbeiten und bleibt faul zuhause. Schließlich geht es den Menschen darum, wertgeschätzt und gebraucht zu werden. Nehmen wir den Fall einer unserer Gewinner*innen, die schlecht bezahlt in einer Mensa in der Essensausgabe arbeitete. Sie hätte dank des Grundeinkommens ein Jahr lang nicht mehr arbeiten gehen müssen – aber sie wollte auf jeden Fall weiter ihren Job machen. Übrigens: Fünf bis zehn Prozent unserer Gewinnerinnen und Gewinner bilden sich weiter, finden neue berufliche Aufgaben, die besser zu ihnen passen, oder sie machen sich selbständig.

Hinter dem „bedingungslosen Grundeinkommen“ steht die Idee, dass jeder Bürger eines Landes vom Staat eine feste monatliche Geldzuwendung als Basis für die Existenzsicherung erhält. Die Summe ist für alle gleich und unabhängig vom eigenen Einkommen oder Geldbesitz. Das Konzept wird international diskutiert, einige Länder wie Finnland experimentieren bereits mit diesem Modell.

Greenpeace Energy: Und wofür genau geben die Menschen das bei Euch gewonnene Geld aus?

Michael Bohmeyer: Die Geschichten sind wahnsinnig unterschiedlich, weil es auch davon abhängt, welchen Hintergrund die Leute haben: Vom Obdachlosen bis zur Hotelerbin und zum Hipster in Berlin ist ja alles dabei. Eine Frau wollte ein Praktikum als Krankenhelferin machen – das war aber so schlecht bezahlt, dass das Jobcenter abgeraten hatte. Und durch das Grundeinkommen konnte diese Frau ihr Praktikum doch machen – und daraus ist dann am Ende eine gut bezahlte Vollzeitstelle geworden. Das ist doch eine tolle Investition! Und andererseits gab es mal einen, der war jahrelang Minijobber und hat sich dann einfach mal einen Hummer im Edelkaufhaus gegönnt…

Greenpeace Energy: Die persönliche Selbstfindung im Luxus?

Michael Bohmeyer: Ja, das gibt es auch. Aber wenn die Leute sich das dann geleistet haben, merken sie auch schnell: So toll und wichtig ist es dann auch wieder nicht. Vielleicht bleibt auch deshalb überraschend viel vom Grundeinkommen liegen, etwa die Hälfte des gewonnenen Geldes wird gar nicht ausgegeben. Das bedeutet: Der Mehrwert besteht gar nicht in mehr Geld, mehr Konsum – sondern die Tatsache, dass mir etwas bedingungslos zugestanden wird.

Greenpeace Energy: Was bewirkt das psychologisch bei den Gewinnerinnen und Gewinnern?

Live-Übertragung der Verlosung von „Mein Grundeinkommen“.
Ein Blick hinter die Kulissen. (Foto: Christoph Rasch / Greenpeace Energy)

Michael Bohmeyer: Da gibt es zwei unterschiedliche Gruppen: Einerseits gibt es die Leute, die verdeckt arm sind, die sich mit mehreren prekären Jobs über Wasser halten müssen oder Freiberufler in großer Unsicherheit. Für die geht es sicher um die finanzielle Absicherung. Aber dann gibt es eben auch die Leute, die wirklich bedürftig sind, zum Amt gehen, Hartz IV beziehen – und die bekommen ihre Würde zurück. Sie Die haben ja nicht mehr Geld zur Verfügung, weil sie durch das Grundeinkommen ja eben keine oder weniger staatliche Leistungen bekommen. Aber sie werden nicht mehr bevormundet und können jetzt selbst entscheiden, welchen Job sie annehmen – oder eben auch mal eine Pause einlegen, um zu überlegen: Was will ich wirklich im Leben? Und, ganz wichtig: Die Leute fühlen sich wohler, sie schlafen besser, haben weniger berufliche Sorgen. Grundeinkommen ist auch Burn-Out-Prävention.

Greenpeace Energy: Fast 170.000 Leute spenden jeden Monat Beträge zwischen fünf und 50 Euro und finanzieren so das verloste Grundeinkommen. Was sagen denn Eure Spenderinnen und Spender dazu, wie das Geld am Ende verwendet wird. Gibt es da – apropos Hummer – auch Kritik?

Michael Bohmeyer: Interessanterweise nicht, da bin ich auch manchmal erstaunt, wenn einer sagt, er legt sein Grundeinkommen in Aktien an und träumt vom dicken BMW. Das ist eben die Herausforderung beim bedingungslosen Grundeinkommen: Traue ich mich, dem anderen etwas zu gönnen – und die völlige Freiheit bei der Verwendung des Geldes zu akzeptieren. Eine Denksportaufgabe, die sich für unsere Gesellschaft lohnt.

Greenpeace Energy: Ihr habt jetzt die Menschen dazu aufgerufen, ihren Stromanbieter zu wechseln. Auch Greenpeace Energy ist deshalb zu Gast in Eurer Verlosungs-Sendung. Was war Eure Motivation für die Wechselaktion?

Michael Bohmeyer: Auch das bedingungslose Grundeinkommen bringt uns als Gesellschaft nichts, wenn unser Planet kaputtgeht. Und da wollten wir einfach ein Zeichen setzen – und die Leute auffordern, selber aktiv zu werden und ihren persönlichen Atom- und Kohlestromausstieg zu vollziehen. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir solche Wechselaktionen in Zukunft zu wiederholen. Das Grundeinkommen macht die Menschen veränderungsbereiter, sie können sich eher auf was Neues einlassen. Und: Die Leute merken, dass Geld und Materielles nicht alles sind – und diese Denke ist eine gute Grundlage, auf der wir den Klimawandel noch stoppen können.

Greenpeace Energy: In den Kohleausstieg kommt nach vielen Jahren Stillstand jetzt endlich Bewegung, selbst ein CO2-Preis rückt in greifbare Nähe. Wie realistisch ist, dass auch ein bedingungsloses Grundeinkommen bei uns eingeführt wird?

Michael Bohmeyer: Ich glaube nicht, dass das Grundeinkommen für alle in den nächsten drei, vier Jahren Realität wird. Aber man merkt, dass die gesellschaftliche Debatte darüber sich verändert, dass Armut auch strukturelle Gründe hat. Parteien, Gewerkschaften und auch Unternehmen laden uns regelmäßig zu Gesprächen ein. Unsere Idee sickert da mehr und mehr ein.

Greenpeace Energy: Und wenn das bedingungslose Grundeinkommen tatsächlich eine politische Mehrheit finden würde – wie würde man es finanzieren?

Michael Bohmeyer: Wir haben da mit Absicht kein eigenes Rechenmodell. Wir wollen für die Idee inspirieren – und die große Vision hochhalten. Erst mal muss man verstehen, dass das Grundeinkommen nicht mehr Geld und mehr Kosten bedeutet, sondern ein anderer Sozialvertrag in der Gesellschaft ist. Alle Bürgerinnen und Bürger kriegen dabei mehr Geld – und die damit verbundene Sicherheit – aber alle tragen auch zur Finanzierung bei. Das heißt, wenn ich überdurchschnittlich verdiene, dann zahle ich mehr Steuern, als ich Grundeinkommen kriegen würde. Es ist eine Umverteilung. Grundeinkommen heißt nicht, dass dann alle um 1.000 Euro reicher sind. Nötig dafür wäre eine Steuerreform, bei der man die Einkommensteuerfreibeträge streicht – und die so eingenommenen Überschüsse schüttet der Staat dann eben in Form von einem Grundeinkommen aus. Das macht pro Person schon mal 200 Euro aus, ohne dass die Gesellschaft das mehr kosten würde.

INFO: In ihrem Buch gehen Michael Bohmeyer und Claudia der Frage „Was würdest Du tun? Wie uns das Bedingungslose Grundeinkommen verändert“ auf den Grund. Wir verlosen drei Bücher. Zur Teilnahme schicken Sie uns bitte bis zum 16. Februar eine E-Mail mit dem Betreff „Grundeinkommen“ und Ihrer Postadresse an verlosung@greenpeace-energy.de

Christoph Rasch
Christoph Rasch
Arbeitete lange als Journalist und Autor für Tageszeitungen, Magazine und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Seit dem Frühjahr 2014 im Bereich Politik und Kommunikation bei Green Planet Energy tätig.