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EnergiewendeEnergiepolitikEU-Energiepaket: Drohendes Greenwashing durch Flut von Ökostrom-Zertifikaten

EU-Energiepaket: Drohendes Greenwashing durch Flut von Ökostrom-Zertifikaten

In Brüssel wird derzeit intensiv über die Zukunft des europäischen Strommarktes gerungen: EU-Kommission, Rat und Parlament diskutieren unter anderem darüber, wie man mit so genannten „Herkunftsnachweisen“ für Ökostrom umgehen soll – also jenen Zertifikaten, die die grüne Eigenschaft belegen. Hier könnte nun sogar eine deutliche Verschlechterung des bisherigen Systems drohen – bis hin zu der Möglichkeit eines massiven Greenwashings. Greenpeace Energy wehrt sich dagegen.

Worum geht es?

Das System der Herkunftsnachweise in der EU soll aktuell im Artikel 19 der  Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED II) neu geregelt werden. Hier gibt es starke politische Bestrebungen, Herkunftsnachweise nicht nur – wie bislang z.B. in Deutschland der Fall – für ungeförderten Erneuerbaren-Strom auszustellen, sondern auch für geförderten Strom, der etwa über Fördersysteme wie das EEG finanziert wird. Im Rahmen ihrer „Trilog“-Verhandlungen wollen EU-Kommission, Parlament und Rat der Europäischen Union auf Grundlage ihrer jeweiligen Entwürfe noch bis zur Sommerpause einen gemeinsamen Kompromissvorschlag erarbeiten und diesen noch 2018 verabschieden.

Marcel Keiffenheim im Brüsseler EU-Parlament. Fotos (2): Christoph Rasch / Greenpeace Energy eG

„Insbesondere die Europäische Kommission vertritt aktuell eine Position, die dazu führen würde, dass der Strommarkt mit großen Mengen an Herkunftsnachweisen geflutet werden würde“, sagt Marcel Keiffenheim, Leiter Politik und Kommunikation bei Greenpeace Energy. Allein hierzulande produzieren die über das EEG geförderten Erneuerbaren-Anlagen rund 200 Terawattstunden Strom pro Jahr – fast doppelt so viel wie alle privaten Haushalte in Deutschland verbrauchen. Zudem sollen laut Kommissionsvorschlag die Herkunftsnachweise nicht mehr wie bisher an den Anlagenbetreiber ausgestellt werden, sondern vom zuständigen Umweltbundesamt (UBA) auktioniert – also an Stromanbieter oder Abnehmer verkauft werden.

Preisverfall durch Überangebot befürchtet

Aber: Herkunftsnachweise symbolisieren den ökologischen Wert der erneuerbaren Stromeigenschaft. Gelangen große Mengen der HKN zusätzlich auf den Markt, würde ihr ohnehin recht geringer Preis (rund 10 bis 80 Cent/MWh) weiter sinken. Dieser Werteverfall würde nach Ansicht von Greenpeace Energy  Greenwashing im bisher ungekannten Ausmaß erlauben: Die Qualität können sich z.B. Konzerne, die große Strommengen abnehmen, über dann sehr günstige Herkunftsnachweise sichern und sich so als „grüne“ Unternehmen darstellen – sich also gegen ein geringes Entgelt mit ökologisch hoher Stromqualität schmücken. Weil die tatsächlichen Produktionskosten von erneuerbarem Strom häufig jedoch deutlich über dem Marktpreis liegen, geht die Rechnung nur auf, wenn ein Fördersystem die Differenz deckt.

Wer zahlt für Grünstrom-Qualität? Im von der EU-Kommission gewünschten Modell (rechts) wären Verbraucher in Deutschland im Nachteil.

Das bedeutet: In Deutschland würden die Zahler der EEG-Umlage – das wären also praktisch alle Verbraucherinnen und Verbraucher – die Zusatzkosten der ökologischen Qualität fast vollständig bezahlen. Aber mit der ökologischen Qualität schmücken dürfte sich ein Unternehmen, das die HKN für einen  kleinen Betrag ersteigert hat. Das wäre eine doppelte Benachteiligung der Verbraucherinnen und Verbraucher: Einmal müssten sie für die ökologische Qualität zahlen, die sich dann ein Unternehmen zurechnet. „Zum anderen würde das Engagement von Millionen Verbraucherinnen und Verbrauchern entwertet, die zu Ökostrom gewechselt sind, um die Energiewende voranzubringen“, kritisiert Marcel Keiffenheim. Mit den neuen HKN drohe Ökostrom häufig zur bloßen statistischen Umverteilung ohne echten Nutzen zu werden. Und dies schade der Energiewende und ihrer Akzeptanz in der Bevölkerung.

Echter Ökostrom muss seinen Preis haben

Greenpeace Energy fordert deshalb im Interesse der Energiewende und im Sinne des Verbraucherschutzes, dass die geplante Ausweitung von HKN für geförderten Strom gestrichen wird. Zumindest aber sollte die Regelung für die Mitgliedsstaaten „freiwillig“ bleiben: Der Grundsatz „Only claim quality when you pay quality“ muss weiterhin gelten – für die Nutzung der hochwertigen Ökostromqualität muss auch ein fairer Preis gezahlt werden! Diese bisher geltende Maxime des HKN-Systems würde durch die vorgeschlagene Ausweitung auf geförderten Strom in ihr Gegenteil verkehrt: Ein Herkunftsnachweis wäre demnach eine Lizenz, um grüne Qualität zu behaupten, ohne dafür einen angemessenen Preis zu bezahlen. „Diese Entwicklung muss unbedingt gestoppt werden, um eine schwere Beschädigung des Ökostrommarktes zumindest in Deutschland zu verhindern“, sagt Marcel Keiffenheim von Greenpeace Energy.

Verschiedene Arten der Energieerzeugung. Nur ungeförderte Erneuerbaren-Anlagen erhalten derzeit Herkunftsnachweise in Deutschland. Bild: fotolia/ Christos Georghiou

INFO Herkunftsnachweise sind quasi „Geburtsurkunden“, die für jede produzierte Megawattstunde Ökostrom ausgestellt werden. Herkunftsnachweise (kurz HKN) werden in der Stromkennzeichnung genutzt und sind die Basis für Ökostromprodukte, die für den Verbraucher klar als solche erkennbar sind. Denn nur solche Strommengen dürfen als Ökostrom deklariert werden, für die entsprechende HKN eingekauft und nach der Nutzung entwertet wurden. Das bedeutet: Wer Grünstrom nutzen bzw. an seine Kunden weiterverkaufen will, muss dafür zusätzlich zahlen – nämlich den Wert der HKN. Die Handhabung von Herkunftsnachweisen für Strom aus erneuerbaren Energien ist in Europa unterschiedlich geregelt. So gibt es in Deutschland ein Doppelvermarktungsverbot für erneuerbare Energien: Dementsprechend erhalten Ökostrommengen, die bereits über das EEG gefördert werden, keinen (handelbaren) Herkunftsnachweis.

Christoph Rasch
Christoph Rasch
Arbeitete lange als Journalist und Autor für Tageszeitungen, Magazine und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Seit dem Frühjahr 2014 im Bereich Politik und Kommunikation bei Green Planet Energy tätig.